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Unwort des Jahres: Worte können Menschenrechte verletzen

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Das neue Unwort des Jahres 2014 lautet "Lügenpresse", dies hat die Jury der sprachkritischen Aktion ""Unwort des Jahres" entschieden. Zur Begründung führt die Jury aus:

 

"Das Wort „Lügenpresse“ war bereits im Ersten Weltkrieg ein zentraler Kampf-begriff und diente auch den Nationalsozialisten zur pauschalen Diffamierung unabhängiger Medien. Gerade die Tatsache, dass diese sprachgeschichtliche Aufladung des Ausdrucks einem Großteil derjenigen, die ihn seit dem letzten Jahr als „besorgte Bürger“ skandieren und auf Transparenten tragen, nicht bewusst sein dürfte, macht ihn zu einem besonders perfiden Mittel derjenigen, die ihn gezielt einsetzen. Dass Mediensprache eines kritischen Blicks bedarf und nicht alles, was in der Presse steht, auch wahr ist, steht außer Zweifel. Mit dem Ausdruck „Lügenpresse“ aber werden Medien pauschal diffamiert, weil sich die große Mehrheit ihrer Vertreter bemüht, der gezielt geschürten Angst vor einer vermeintlichen „Islamisierung des Abendlandes“ eine sachliche Darstellung gesellschaftspolitischer Themen und differenzierte Sichtweisen entgegen-zusetzen. Eine solche pauschale Verurteilung verhindert fundierte Medienkritik und leistet somit einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit, deren akute Bedrohung durch Extremismus gerade in diesen Tagen unübersehbar geworden ist".


Die sprachkritische Aktion schaltet sich damit in die aktuelle Diskussion ein und wendet sich, indem sie einen der verwandten Begriffe aufgreift, gegen den mit dem Namen "Pegida" verbundenen Versuch, Terrorismus und Bedrohungsgefühle für die Aussonderung und Dämonisierung einer Religion und ihrer Anhänger sowie die Verbreitung von Fremdenfeindlichkeit zu instrumentalisieren.

 

Die zitierte Begründung der Jury steht für sich selbst. Der Begriff "Lügenpresse" ist eine hochgradig pauschale und undiffierenzierte Gesamtabwertung, die mit angemessener Medienkritik ebenso wenig zu tun hat wie die Pegidea-artigen Islamverdammungen mit Religionskritik zu tun haben. Mit dem Begriff wollen sich die Betreffenden gegen Informationen und Sachverhalte immunisieren, die zu ihrer Weltsicht im Widerspruch stehen. Weil aber die Medien sowieso eine "Lügenpresse" sind, braucht man ihre Berichte nicht mehr zur Kenntnis zu nehmen. Dies erleichtert es den Betreffenden, an eigenen Vorurteilen festzuhalten.

 

Diejenigen, die den Begriff "Lügenpresse" verwenden, werden seine Demaskierung nur als Bestätigung ihrer Position sehen. In ihrem tautologischem Denken werden sie die Jury sofort als Instrument der "Lügenpresse" einordnen. Dass diese Jury aber sehr wohl zwischen pauschaler Diffamierung, die sich der Diskussion entzieht, und berechtigter Kritik, auch Medienkritik, unterscheiden kann, wird deutlich anhand eines weiteren Wortes, welches von der Jury kritisiert wurde: "Russland-Versteher". Hierzu heißt es in der Begründung:

 

"Zum Unwort wird dieser in der aktuellen außenpolitischen Debatte gebrauchte Ausdruck vor allem, weil er das positive Wort „verstehen“ diffamierend verwendet (und zwar ohne die Ironie, wie sie beispielsweise hinter der analogen Bildung des „Frauen-Verstehers“ steht). Wie Erhard Eppler im in seinem kritischen Essay „Wir reaktionären Versteher“ (Spiegel 18/2014 vom 28.04.2014) darlegt, sollte das Bemühen, fremde Gesellschaften und Kulturen zu verstehen, Grundlage einer jeden Außenpolitik sein, weil die Alternative nur Hass sein kann. Eine fremde Perspektive zu verstehen, bedeutet keinesfalls, damit zugleich Verständnis für daraus resultierende (politische) Handlungen zu haben. Andere polemisierend als „Versteher“ zu kritisieren, ist damit unsachlich und kann die inhaltliche Diskussion nicht ersetzen. Ein ganzes Volk zudem pauschal für eine politische Richtung haftbar zu machen und es mit dem Ausdruck „Putin-Versteher“ auf einen Autokraten zu reduzieren, zeugt von mangelnder Sprachreflexion oder aber gezielter Diffamierung".


Gerade im Ukraine-Konflikt ist tatsächlich eine einseitige Bewertungstendenz in vielen Medien erkennbar geworden, die nicht nur russische Medien, sondern auch westliche Medien betrifft. Der Kampf um die öffenltiche Meinung der Konfliktparteien wird auch über die Medien ausgetragen und Schwerpunktsetzungen der Berichterstattung können so schnell propagandistischen Charakter annehmen (siehe hier einen Artikel bei Menschenrechte.eu). Diese Problematik betrifft aber genau nicht die Darstellung von Lügen und auch nicht die konsequente Auslassung unbequemer Sachverhalte, sondern zeigt sich vorwiegend in Form von Bewertungen und Schwerpunktsetzungen der Berichterstattung. Werden diese beim Lesen erkannt und als solche berücksichtigt, kann ein faktengerechtes Bild aus eben diesen Medien gewonnen werden, die als "Lügenpresse" diskreditiert werden. Der Begriff des Russland-Verstehers wurde hier in einem diffamierenden Sinne in die Debatte gegenüber Kritikern der westlichen Politik gegenüber der Ukraine und Russland eingebracht und auch von Medien - mit Ausnahmen - insgesamt zu unkritisch aufgegriffen.

 

Die Rüge eines weiteren Begriffs macht besonders deutlich, wie Sprache der Etablierung einer Kultur der Menschenrechtsverletzungen dienen kann und welche Verantwortung auf den Medien lastet, eine solche Etablierung einer menschenrechtswidrigen Sprachkultur nicht zu unterstützen. Es handelt sich um die sogenannten "erweiterten Verhörmethoden" der CIA (siehe hier einen Artikel bei Menschenrechte.eu). Hierzu führt die Jury aus:

 

"Aktuell geworden durch den CIA Bericht 2014, hat sich der Begriff „erweiterte Verhörmethoden“ in der Berichterstattung zu einem dramatisch verharmlosenden Terminus Technicus entwickelt. Der Ausdruck ist ein Euphemismus, der unmenschliches Handeln, nämlich Folter, legitimieren soll. Auch wenn er in deutschen Medientexten in distanzierenden Anführungszeichen steht, dient er letztlich dazu, das in seiner Bedeutung sehr klare Wort „Folter“ zu umgehen. Dass man sich die Sprache der Täter mit dieser Übernahme zu eigen macht und damit akzeptiert, ist bedauerlich".


Die Aktion "Unwort des Jahres" leistet einen Beitrag für den Aufbau einer tatsächlich demokratischen, freiheitlichen und menschenwürdigen Kultur, die sich entsprechend menschenwürdig ausdrückt und nicht zu den Mitteln von Diffamierung, Stigmatisierung und Bagatellisierung von Unrecht greift. Die Notwendigkeit der Aktion belegt, dass die Etablierung einer solchen Kultur noch nicht gelungen ist.

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