Scheinbarer Skandal: Jürgen Todenhöfer und Syriens Baschar Assad
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Soeben berichtet Spiegel-Online unter dem reißerischen Titel „Jürgen Todenhöfer – Liebesbrief nach Damaskus“ über einen scheinbaren Skandal. Nach Enthüllungen der libanesischen Nachrichtenseite "Now News" habe sich Todenhöfer, der mit seinem Besuch beim islamischen Staat für Furore sorgte, dem Regime des Baschar Assad angebiedert. Dabei habe er es an journalistischer Distanz missen lassen.
Eine objektive Analyse der veröffentlichten Sachverhalte führt jedoch zu dem Schluss, dass der eigentliche Skandal in der fehlgeleiteten westlichen Politik gegenüber Syrien und nicht in den Emails von Jürgen Todenhöfer liegt:
Als Beleg für die „schweren Vorwürfe“, die gegen Jürgen Todenhöfer erhoben würden, veröffentlicht Spiegel-Online Auszüge aus dem gehackten Email-Account von Sheherazad Jaafari. An diese konnten sich Journalisten und andere als Vermittlerin wenden, wenn sie einen Kontakt zur syrischen Staatsführung herstellen wollten. Jürgen Todenhöfer ersuchte damals um ein Interview mit Assad. Das Interview erhielt er tatsächlich am 05.Juli 2012 und es wurde durch die ARD ausgestrahlt.
Spiegel-Online zitiert nun zum Beleg der Vorwürde gegen Todenhöfer zwei Stellen aus der Emails-Korrespondenz mit Sheherazad Jaafari:
"Liebe Prinzessin des Nahen Ostens", schrieb Todenhöfer an Sheherazad Jaafari am 6. Dezember 2011. "Lass uns aus Syrien den demokratischen Vorreiter der arabischen Welt machen, und ich werde jede freie Minute verbringen in diesem faszinierendsten Land mit der faszinierendsten Prinzessin."
"Er [Assad, Anm. der Red.] ist der einzige Anführer, der deinem Land eine moderne Demokratie und eine stabile Zukunft ohne Fremdherrschaft geben kann. Das müssen wir der Welt klar machen. Und Deinem Volk".
Aus dem Artikel in der „Now News“ ergibt sich noch folgende, von Spiegel-Online nicht zitierte Äußerung Todenhöders, die ebenfalls erwähnenswert ist:
“Dear PrSh, congratulations on the new amnesty. This is the right strategy!!! Your President is doing great - Congratulation.“
Die Berichterstattung in „Now News“ und Spiegel-Online legt eine ehrenrührige Nähe von Todenhöfer zum Assad-Regime nahe. Die objektive Analyse der veröffentlichten Texte ergibt aber ein anderes Bild:
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Todenhöfer hat nicht ausgesagt, dass Syrien ein demokratischer Vorreiter in der arabischen Welt sei, sondern er hat an seine Email-Partnerin appelliert, aus Syrien den demokratischen Vorreiter der arabischen Welt zu machen. Diese Aussage ist eine Kritik am aktuellen syrischen Staatssystem, die Todenhöfer in eine Handlungsaufforderung zur Veränderung einbettet. Offenbar hatte er die Hoffnung oder mindestens einen Rest Hoffnung, dass sein Appell nicht auf taube Ohren stoßen würde.
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Todenhöfer gelangt zu der Einschätzung, dass zu Assad gegenwärtig keine Alternative bestehe oder eine Lösung nicht ohne ihn erfolgen könne. Er bringt in den Emails seine Auffassung zum Ausdruck, dass Assad gegenwärtig in Syrien der einzige "Anführer" sei, der dem Volk eine moderne Demokratie ohne Fremdherrschaft geben könne. Diese Einschätzung ist keine Rechtfertigung für die diktatorische Herrschaftsausübung durch Assad, sondern eine realistische Bewertung. Der Verlauf des Bürgerkrieges in Syrien hat gezeigt, dass es keine gegenüber dem islamistischen Terror durchgängig und hinreichend abgegrenzte Machtalternative zu Assad gibt. Daher kann der Weg zu einer Demokratie nur mit Assad gegangen werden. Diese Einschätzung bedeutet in keiner Weise, die schweren Menschenrechtsverletzungen von Assad kleinzureden oder für diesen Partei zu ergreifen, sondern die Realitäten zur Kenntnis zu nehmen und für die Menschen in Syrien das bestmögliche herausholen zu wollen. Diese Sichtweise entspricht auch der Strategie des Nationalen Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel, eines Oppositionsbündnisses gegen Assad, welches sich im Interesse des syrischen Volkes von Anfang an gegen einen bewaffneten Kampf ausgesprochen hatte und dies weiterhin tut. Leider ist dieses Oppositionsbündis wegen seiner Gegnerschaft zum bewaffneten Kampf durch die westliche Staatengemeinschaft und die Golf-Monarchien marginalisiert worden.
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Todenhöfer bezeichnet das Handeln Assads nicht im Allgemeinen als großartig – wie es „News Now“ in seinem Artikel nahelegt - sondern er lobt eine spezifische Maßnahme, nämlich eine Amnesty gegenüber politischen Gegnern. Es ist offensichtlich, dass er mit diesem Lob einen ersten Schritt in die richtige Richtung wertschätzen und verstärken wollte. Diplomatie als Weg der kleinen Schritte und Wandel durch Annäherung sind die Konzepte, an denen sich Todenhöfer hier offenbar orientierte.
- Jürgen Todenhöfer schrieb Emails mit Sheherazad Jaafari, weil diese als Vermittlerin für einen Kontakt zum syrischen Staatspräsidenten Assad fungierte. Indem er sich an sie wandte, tat er das, was zahlreiche andere Journalisten vor und nach ihm taten. Richtig ist, dass die Emails der meisten anderen Journalisten weitaus nüchterner waren als die von Jürgen Todenhöfer. Jenen ging es aber ausschließlich um ihre journalistische Arbeit, Jürgen Todenhöfer aber wollte, das lassen die Emails eindeutig erkennen, zu einem friedlichem demokratischen Wandel in Syrien beitragen. Jürgen Todenhöfer wollte also nicht nur berichten, sondern etwas bewirken. Er wollte Einflusssphären erschließen und war hierfür bereit, die Möglichkeiten zu nutzen, die sich ihm boten.
Spiegel-Online versucht, die gute Absicht Jürgen Todenhöfers durch eine Berufung auf Experten zu konterkarieren:
“Auch von dem bereits seit 2000 herrschenden Baschar al-Assad sei keine Demokratisierung zu erwarten, analysierten renommierte internationale Syrien-Experten wie der deutsche Wissenschaftler Volker Perthes.“
Die Meinungen von Experten, die sich typischerweise nicht einmal einig sind, entsprechen jedoch keineswegs unbedingt der Wirklichkeit. Für einen politisch Handelnden sollten sie zu keinem Zeitpunkt Anlass geben, auf Friedens- und Demokratisierungsbemühungen zu verzichten, jedenfalls dann nicht, wenn ihm die Menschenrechte am Herzen liegen.
Im übrigen waren es damals auch solche und andere Experten, die die westliche Staatengemeinschaft zu einer fehlgeleiteten Politik gegenüber Syrien verleiteten, die letztlich dazu beitrug, das Land in den jetzigen Ruin zu stürzen. Der bewaffnete Kampf, den die westliche Staatengemeinschaft gemeinsam mit den brutalen und korrupten Golf-Monarchien zum Sturz Assads ausrief, hat den Siegeszug des islamischen Staates begründet. Geschaffen wurde dadurch in Syrien, aber auch im Irak, eine Menschenrechtskatastrophe ungeheuren Ausmaßes. Millionen Vertriebene und Hunderttausende Tote sind die Folgen dieses Politik.
Jürgen Todenhöfer wollte im Vorfeld tun, was er tun konnte, um einen verheerenden Weg in Krieg und Zerstörung zu verhindern. Hieran ist er gescheitert. Sein Scheitern beweist aber nicht, dass er damals im Unrecht war. Das Scheitern ist vielmehr einer geradezu extremistischen Politik der Kompromisslosigkeit der westlichen Staatengemeinschaft und der Golfmonarchien zu schulden, die es im engen Bündnis miteinander versäumten, mögliche Kompromiss- und Friedensspielräume auszuloten. Die westliche Staatengemeinschaft und die Golf-Monarchien entschieden sich, Rebellen propagandistische, finanzielle und militärische Unterstützung zukommen ließen, deren bewaffneter Kampf nur auf den entschiedenen Widerstand des Assad Regimes stoßen konnte und im Verlauf das gesamte Land ins Unglück stürzte.
Jürgen Todenhöfer versuchte, einen Weg des Friedens, der Demokratisierung und des schrittweisen Wandels zu erschließen, seine Gegner setzten auf Sieg durch Krieg. Das Inferno, welches heute in Syrien besteht, wäre womöglich niemals entstanden, wenn die westliche Staatengemeinschaft dem Vorbild von Jürgen Todenhöfer gefolgt wäre.
Verfasser. Guido F. Gebauer
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