Tragödie im Mittelmeer: Europa ließ sie erfrieren
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29 afrikanische Flüchtlinge haben soeben bei ihrem verzweifelten Versuch, nachts mit einem Fischerboot Europa zu erreichen, ihr Leben verloren. Sieben waren bereits tot als die italienische Küstenwache sie fand, 22 starben erst im Anschluss an Unterkühlung. →Reuters berichtet, dass die Flüchtlinge nach ihrem Aufgriff noch 18 Stunden bei eisigen Winden auf dem Deck des Schiffes verbringen mussten, welches sie nach Lampedusa brachte.
Treffend liest sich hierzu bei →N24:
"Horror von Lampedusa", schrieb die italienische Politikerin Laura Boldrini im Kurznachrichtendienst Twitter. "Diese Menschen starben nicht in einem Schiffswrack, sondern an Kälte. Das sind die Folgen des Endes von Mare Nostrum."
Es sei in Erinnerung gerufen:
Auf dem Höhepunkt einer anhaltenden Flüchtlingstragödie, in deren Verlauf 2014 mehr als 4000 Menschen im Mittelmeer ertranken, hatten die Staatschef s der Länder der europäischen Gemeinschaft – sie tragen die politische Verantwortung – die Rettungsmission Mare Nostrum beendet. Bereits damals waren die tödlichen Konsequenzen dieser Entscheidung absehbar.
Auch bei →Menschenrechte.eu hatten wir darüber berichtet:
"Indem die europäische Union auf eine Politik der Abschreckung durch Ertrinken setzt, verliert sie jedwede Legitimation, sich als eine moralische Wertegemeinschaft von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten zu verstehen. Auf die gleiche Weise wie die USA als Rechtsstaat delegitimiert worden sind aufgrund der durch oberste Staatsorgane angeordneten barbarischen Folter durch die CIA und der grassierenden rassistischen Polizeigewalt, die beiderseits straffrei bleiben, widerlegt die tödliche Abschreckungspolitik der EU gegenüber den Flüchtlingen die Sonntagsrhetorik von Menschlichkeit und Solidarität. … Die UN werfen der EU berechtigt vor, sich mehr um den Schutz ihrer Grenzen als um das Überleben von Flüchtlingen zu sorgen. Jedoch sind auch die Vereinten Nationen offenbar weder gewillt noch dazu in der Lage, die Staaten der europäischen Union zu einem Kurswechsel zu zwingen und das Massaker im Mittelmeer zu stoppen".
Die wachsende Fluchtbewegung über das Mittelmeer ist direkte Konsequenz der auch durch die Staaten Westeuropas mitverschuldeten Kriege und Krisen, vor denen die Menschen fliehen. Solange auch nur die geringste Aussicht besteht, die Flucht lebendig zu überstehen und das rettende europäische Ufer zu erreichen, werden Menschen weiterhin diesen Fluchtweg wählen. Es war und ist menschenverachtend und darüber hinaus ein schwerwiegender Irrtum, zu glauben, mehr Tote würden weitere Flüchtlinge von der einzigen ihnen sichtbar werdenden Rettungsoption abschrecken.
→Pegida marschiert – glücklicherweise in abnehmender Anzahl – gegen Flüchtlinge und Menschen mit anderer Religion. Es fiel der Politik nicht schwer, sich gegen Pegida öffentlich zu solidarisieren. Zu dieser Solidargemeinschaft gehörten und gehören aber die gleichen Parteien und Politiker, die Mare Nostrum beendeten und damit Flüchtlingen den sicheren Tod brachten. Verantwortung hierfür trägt auf bundesrepublikanischer Seite auch die derzeitige schwarz-rote Bundesregierung.
Wenn Europa seine moralische Glaubwürdigkeit zurück gewinnen will, darf dem Tod dieser 29 Flüchtlinge nicht mit Untätigkeit und Schweigen begegnet werden. Diese Menschen verdienten nicht den Tod, sondern sie hatten ein Recht auf Leben wie jeder einzelne Staatsbürger der Länder der europäischen Union. „Menschenleben wiegt schwerer als der Erdball“, sagte einstmals ein →japanischer Ministerpräsident. Es wäre zu wünschen, dass solche Worte an die Stelle der Logik der Abschreckung träten und die Politik der Flüchtlingsabwehr ersetzten.
Die Politik der Flüchtlingsabwehr, die gerade erneut 29 Menschen den Tod brachte, muss sofort revidiert und Mare Nostrum mit erweiterten Mitteln wieder aufgenommen werden. Es ist keine Zeit mehr, abzuwarten. Jeder Tag, der verloren wird, kann weiteren Menschen das Ende ihres Lebens bringen. Die teilweise unsichtbare, aber →tödliche Mauer, mit der sich Westeuropa gegen die Fluchtbewegungen in dieser Welt abgeschottet hat, muss weg, wenn die Staaten Westeuropas für sich die Begriffe der Menschenwürde und Humanität in Anspruch nehmen wollen.
Die Rhetorik der „Überfüllung“ und „Überfremdung“ hinterlässt ihre Spuren. Erst diese Rhetorik ermöglicht die allseits zu beobachtende Indifferenz einer Mehrheit gegenüber dem Leid der Menschen, die in den Fluten des Mittelmeeres die letzten Stunden ihres Lebens verbringen. 29 Menschen starben, weil die Staaten der europäischen Gemeinschaft dort sparten, wo niemand sparen darf: bei den Grundsätzen der Menschlichkeit.
Unter dem Deckmantel „die Sorgen der Menschen ernst nehmen“ führt die Rhetorik der Flüchtlingsabwehr auch im Inland zu Hass und Gewalt. So haben sich binnen eines Jahres →Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte nahezu verdreifacht. Diejenigen, die aus Krieg und Elend zu uns flohen, sehen sich mit Brand- und Sprengstoffanschlägen, tätlichen Angriffen und volksverhetzende Parolen konfrontiert.
Denkbar schlechte Beispiele für Menschlichkeit und Integration werden aber auch immer wieder von Entscheidungen der Ausländerbehörden gesetzt, deren ablehnende Bescheide und Abschiebungen oft große Not und immense Verzweiflung verursachen. So kämpft aktuell im Landkreis Cuxhaven die Familie des →Kleinkindes Duha Aline und ihres Halbbruders Othmane dafür, zusammen in Deutschland leben zu können, während die dortige Ausländerbehörde den Aufenthalt des Kleinkindes wie auch ihres Halbbruders offenbar zu beenden gedenkt. Beide Kinder würden in diesem Fall den Kontakt zu ihrem staatenlosen und nicht ausreisefähigen Vater verlieren und die Eheleute würden auseinandergerissen.
Der Tod der Menschen im Meer wäre vermeidbar, aber Europa zieht die Rettungsleinen ein. Die Bedrohung von Menschen durch Abschiebung und das Auseinanderreißen von Familien ist ebenfalls unmenschlich und unnötig. Die westeuropäischen Staaten verfügen über genug Wohlstand, zu dessen Aufrechterhaltung die Rohstoffe aus den Ländern der dritten Welt und im Übrigen gerade Einwanderung maßgebliche Beiträge leisten.
Die Anzahl der durch die Staaten Westeuropas und auch durch die Bundesrepublik Deutschland aufgenommenen Flüchtlinge ist erschütternd gering. Dem steht das →Beispiel des Libanon gegenüber, auf dessen Staatsgebiet mittlerweile jeder dritte Bewohner ein Flüchtling ist. Analog müssten nach Deutschland 20 Millionen Flüchtlinge einreisen. Diese Situation führt im Libanon, der viel zu wenig internationale Hilfe erhält, zu erheblichen Problemen und massiven Spannungen, aber die Alternative wäre, diese Menschen direkt zurück in Krieg und Vernichtung nach Syrien zu schicken.
Westeuropa lässt Solidarität und Menschlichkeit gegenüber Flüchtlingen vermissen. Wie viele Menschen werden noch ertrinken oder erfrieren müssen, bevor die Staatschefs der europäischen Union, einschließlich Bundeskanzlerin Merkel, die Menschlichkeit, den Anstand und das Erbarmen zeigen werden, diese Menschen zu retten, anstatt sie unbemerkt in den Fluten verschwinden oder sie auf nicht ausreichend ausgestatteten „Rettungsschiffen“ in der Eiseskälte erfrieren zu lassen? Wie viele Familien werden noch auseinandergerissen werden, bevor an die Stelle einer herzlosen Abschiebebürokratie eine echte Integrationspolitik tritt?
An unsere Leserinnen und Leser richten wir den Appell:
- Unterstützen Sie die Petition für den Schutz einer Familie und leisten Sie einen Spendenbeitrag dafür, dass die Familie des Kleinkindes Duha Aline und ihres Halbbruders Othmane hier in Deutschland weiterhin zusammen leben kann. Es ist ein Einzelfall unter vielen, aber wenigstens diesen einzelnen Menschen können Sie helfen → hier zur Petitionsseite mit Informationen und Spendenkonto
- Lesen Sie die Hinweise der Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) und engagieren sie sich dort →hier zu den Hinweisen
- Denunzieren Sie niemals einen Menschen ohne Papiere, sondern schützen sie sein Leben.
- Machen Sie bei Initiativen mit, wie →"Kein Mensch ist illegal" und beim →"noborder network". Werden Sie Mitglied von ¨Pro Asyl¨ →hier zum Mitgliedschafts-Formular
- Unterzeichnen Sie die amnesty international Petition "SOS Europa: Erst Menschen, dann Grenzen schützen". Zeigen Sie, dass Sie sich mit den durch die Politik der Staaten der EU bedrohten Menschen solidarisieren und dass es - trotz alledem - noch Menschlichkeit gibt → hier zur Petition
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