Proteste als letztes Aufbäumen der traditionellen Machtelite Thailands
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Für den 2. Februar 2014 sind in Thailand Wahlen angesetzt, um dem Volk die Entscheidung darüber zu überlassen, wie der anhaltende Konflikt zwischen der Regierung und ihren Unterstützern und der aktuellen Protestbewegung gelöst werden soll. Unklar ist allerdings, ob diese Wahlen stattfinden werden. Jedenfalls hat die Protestbewegung unter ihrem Führer Suthep Thaugsuban angekündigt, die geplanten Wahlen unter allen Umständen zu verhindern.
Statt Wahlen abzuhalten, soll gemäß der Forderungen der Protestbewegung, die sich People's Democratic Reform Committee (PDRC) nennt, ein nicht gewähltes Volkskomitee aus „guten Menschen“ eingesetzt werden. Dieses Volkskomitee soll Thailand reformieren und erst nach Umsetzung der Reform sollen erneut Wahlen stattfinden. Die Bevölkerung selbst soll dabei zuvor nicht entscheiden, ob und welche Reformen stattfinden sollen und wer für die Ausarbeitung und Umsetzung der Reformen verantwortlich sein soll.
Was sind die Motive der Protestbewegung und mit welcher Strategie hofft sie auf einen Erfolg?
Gemäß der eigenen Darstellungsweise geht es der Protestbewegung um eine Abschaffung der Korruption in Thailand. Als Personifizierung dieser Korruption werden durch die Protestbewegung dabei Thaksin Shinawatra und seine Familie angesehen, einschließlich der gegenwärtigen Premierministerin Yingluck Shinawatra. Der Einfluss des Thaksinismus, so heißt es, solle dabei ein für alle mal beseitigt werden, wobei Suthep hierfür u.a. die Todesstrafe für Korruption fordert (siehe hier)
Die Strategie der Protestbewegung ist es, die Handlungsfähigkeit der derzeitigen Regierung, die bis zur Konstituierung eines neu gewählten Parlamentes eine Übergangsregierung ist, außer Kraft zu setzen. Entsprechend erfolgten und erfolgen Besetzungen von Regierungsgebäuden, die Blockade aller Maßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung der Wahlen, bis hin zu Drohungen, die Premierministerin und andere Regierungsmitglieder zu „verhaften“ (siehe hier). Dabei fordert Suthep sogar, die gewählte Premierministerin und ihren Bruder Thaksin wegen Hochverrates vor Gericht zu stellen (siehe hier).
Jedwede Gespräche mit der Regierung lehnt die Protestbewegung ab, während die Regierung seit Beginn der Proteste ihre anhaltende Gesprächsbereitschaft betont (siehe hier).
Das strategische Problem der Protestbewegung ist es, dass sie auf sich gestellt nicht dazu in der Lage ist, genug Menschen zu mobilisieren, um die Regierung tatsächlich handlungsunfähig zu machen und die Macht zu übernehmen. Daher fordert sie Soldaten und Polizisten auf, sich auf die Seite des Volkes, sprich auf die Seite der Protestbewegung, zu stellen. Die Protestbewegung definiert sich dabei als die Repräsentantin des Willens des Volkes.
Seit Beginn ihrer Aktivitäten ruft die Protestbewegung daher in Form von mehr oder weniger offenen oder verklausulierten Appellen das Militär auf, sich auf die Seite des Volkes zu stellen, die Regierung zu stürzen und wie bereits 18 mal zuvor in der Geschichte des modernen Thailandes die Macht durch einen Putsch zu übernehmen. Zuletzt geschah dies 2006 als das Militär Thaksin stürzte und eine neue Verfassung ausarbeiten ließ. Die Protestführer sehen es rückblickend jedoch als Geburtsfehler des damaligen Militärputsches, dass der Einfluss des Thaksinismus, also der Einfluss aller Personen und politischen Kräfte, die mit der durch Thaksin umgesetzten Politik übereinstimmen, nicht beseitigt worden sei. Nur deshalb ist es nach Einschätzung des Protestbewegung möglich gewesen, dass bei allen auf den Militärputsch von 2006 folgenden Wahlen Parteien, die für die Politik von Thaksin stehen, eine deutliche Mehrheit aller Stimmen gewannen. Dies möchten die Führer der Protestbewegung, daran lassen sie keinen Zweifel, für die Zukunft mit Sicherheit ausschließen.
Die Protestbewegung betont ihren friedfertigen Charakter, wobei die Erstürmung von Regierungsgebäuden und die Drohungen, die Premierministerin und andere Regierungsmitglieder zu verhaften, jedoch tatsächlich Straftaten darstellen. Der juristischen Verfolgung dieser Straftaten entziehen sich die Anführer der Protestbewegung, indem sie bei angesetzten polizeilichen Vernehmungen nicht erscheinen. Gegen den Führer des Protestbewegung Suthep läuft dabei sogar eine Anklage wegen Aufrufes zum Mord, weil er 2010 die damals gegen die Abhisit-Suthep-Regierung laufenden Proteste der sogenannten Rothemden blutig niederschlagen ließ mit mehr als 90 Toten und fast 2000 Verletzten als Konsequenz.
Die Protestbewegung wendet sich gemäß ihrer eigenen Äußerungen gegen Wahlen, weil diese aufgrund der Korruption nicht zu einem legitimen Ergebnis führen könnten. Die Wähler ihres Gegners Thaksin bzw. der für seine Politik stehenden Puea Thai Partei, die sich vorwiegend aus den ärmeren Bevölkerungsschichten, insbesondere aus dem bevölkerungsreichen Norden und Nordosten des Landes rekrutieren, werden entsprechend als korrumpiert erachtet - ihre Stimmen seien gekauft worden. Der Kampf gegen die derzeitige Regierung und die angesetzten Wahlen wird zum ultimativen Kampf gegen die Korruption erklärt.
Wie glaubhaft und tragfähig ist der Antikorruptionskampf der Protestbewegung?
Die Protestbewegung definiert sich als Kampf gegen die Korruption, angeführt wird sie aber durch den langjährig in Thailand aktiven Politiker Suthep, gegen den seit Jahren schwere Korruptionsvorwürfe erhoben werden und der allgemein als Vertreter der traditionellen thailändischen Machtelite, der Oberschicht wie auch Teile der Mittelschicht gilt. Die niemals für die Öffentlichkeit bestimmten, aber durch Wikileaks veröffentlichten internen Einschätzungen der US-Botschaft in Thailand beschreiben diesen Suthep dabei als einen skrupellosen Machtmenschen, der mit Korruption und Hinterzimmerarrangements agiert (siehe hier).
Im Einzelnen werden insbesondere folgende Korruptionsvorwürfe gegen den Führer der aktuellen Protestbewegung erhoben (siehe hier).
- Als Landwirtschaftsminister 1995 ließ Suthep an wohlhabende Freunde im Rahmen einer damaligen Landreform Land vergeben, welches für Menschen in materieller Not gedacht war. Hierüber stürzte die damalige Regierung von Chuan Leekpai, wobei Suthep offenbar aufgrund seiner Beziehungen und auch aufgrund Bestechung einer nachfolgenden Strafverfolgung entging.
- 2009 soll Suthep Bestechungsgelder für die Beförderung von Polizeibeamten in hohe Positionen angenommen haben. Zudem wurde durch die Wahlkommission eine Untersuchung gegen ihn in die Wege geleitet, da er gesetzwidrig Anteile an Medienkonzernen mit Regierungskontrakten besaß. Suthep konnte sich damals der Verfolgung durch die Wahlkommission entziehen, indem er sein Parlamentsmandat abgab, gleichzeitig aber sein Amt als stellvertretender Premierminister beibehielt.
- 2011 soll Suthep als Vorsitzender des Nationalen Palm Ölkommittees eine künstliches Verknappung von Palmöl organisiert haben mit einem starken Preisanstieg als Folge, wobei er und seine Familie aufgrund ihrer Palmöl- und Landgeschäfte dadurch massiv finanziell profitierten.
Wenn ausgerechnet ein Politiker, gegen den seit Jahren schwerste Korruptionsvorwürfe erhoben werden, eine Bewegung gegen Korruption anführt, ergeben sich Zweifel an der Ehrlichkeit des Anliegens. Dies gilt umso mehr, als dass der Antikorruptionskampf der Protestbewegung sich ausschließlich auf Thaksin, seine Familie, Freunde und Geschäftspartner konzentriert, dabei aber gänzlich die Korruption ausspart, die Thailand bereits kennzeichnete als es noch keinen Politiker Thaksin gab.
Suthep und seine Protestbewegung sind Repräsentanten der traditionellen Machtelite Thailands - der Oberschicht sowie der sie stützenden Strukturen eines Teiles der Mittelschicht und des Militärs. Damit vertritt die Protestbewegung aber insbesondere diejenigen Personen und Strukturen, die seit jeher die Hauptprofiteure der Korruption in Thailand gewesen sind, die diese Korruption sogar geradezu erfunden haben.
Deutlich wird aus dieser Konstellation, dass es der Protestbewegung in Wirklichkeit nicht um einen Kampf gegen die Korruption geht, sondern um einen Kampf um die Macht. Das Ärgernis, gegen welches sich die Protestbewegung wendet, ist nicht die Korruption, sondern der Machtverlust, den die traditionelle Machtelite Thailandes durch die durch Thaksin ausgehenden bzw. mit ihm assoziierten Veränderungen der letzten 15 Jahre erlitt.
Der Verlust aller Wahlen der letzten 15 Jahre und das Scheitern des Versuches, über einen Militärputsch die Macht ihrer Gegner zu brechen, hat die derzeitige Protestbewegung und die hinter ihr stehenden politischen und wirtschaftlichen Interessen offensichtlich zu dem Schluss gebracht, dass nur durch die Beseitigung des Einflusses ihrer Gegner und damit des auf dem Prinzip „eine Person- eine Stimme“ beruhenden Wahlsystems die Macht zurück gewonnen werden kann. So werden die Straßenproteste, Erstürmungen von Regierungsgebäuden, die Boykottierung der Wahl durch die demokratische Partei als Repräsentantin der politischen Interessen der Protestbewegung und die Behinderung der Wahlvorbereitungen verständlich und lassen sich als aus Sichtweise der Protestbewegung folgerichtigen Versuch zur Rückeroberung der Macht einordnen.
Protestführer Suthep hat in aller Deutlichkeit angekündigt, alles zu tun, um die Wahlen am 02. Februar zu verhindern. Gemäß Bangkok Post hat er geäußert, dass die Protestler alle Straßen, die zu den Wahlurnen führen, blockieren würden. Es werde keine Wahlen am 02. Februar geben, wobei er gemäß dieses Berichtes alle Untergliederungen der PDRC instruiert hat, in jeder Provinz Aktivitäten zu planen, die eine Rückkehr der jetzigen Übergangspremierministerin an die Macht durch Wahlen zu verhindern in der Lage seien (siehe hier). Deutlich wird, dass die Protestbewegung eine jede künftige Machtausübung durch die derzeitige Premierministerin oder andere Unterstützer der politischen Linie von Thaksin verhindern möchte - und zwar auch dann, wenn der Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung ein anderer ist.
Um ihre Opposition gegen Wahlen demokratisch zu legitimieren, verweist die Protestbewegung auf das Problem des sogenannten Stimmenkaufes. Das Problem des Stimmenkaufs ist ein altes Problem in Thailand, welches durch Thaksin nicht erfunden wurde und welches tatsächlich gerade auch durch die traditionelle Machtelite jahrzehntelang routinemäßig praktiziert wurde.
Die Behauptung, die Stimmen ihrer Gegner seien – im Gegensatz zu den eigenen – erkauft, entbehrt allerdings jeder faktischen Grundlage. So erklärten sämtliche internationalen Beobachter der Wahlen von 2011 diese Wahlen für frei und fair. Zumal entsprachen die Wahlergebnisse im Wesentlichen den Erwartungen anhand von Meinungsumfragen, wobei außer Frage steht, dass für eine Beteiligung an solchen Meinungsumfragen nichts bezahlt wird. Aktuelle Meinungsumfragen zeigen, dass 80% der Bevölkerung sich an den jetzt angesetzten Wahlen beteiligen wollen, dass mehr als 50% der Bevölkerung gegen eine Verschiebung der Wahlen sind und dass lediglich 28% der Bevölkerung die Forderung der Protestbewegung „Reform vor Wahlen“ unterstützen (siehe hier).
Die Protestbewegung repräsentiert eine Minderheit des thailändischen Volkes, welche unberechtigt für sich den Anspruch erhebt, das ganze Volk zu repräsentieren. Aufgrund ihres faktisch inkorrekten Repräsentationsanspruches weist diese Protestbewegung sich das Recht zu, ohne Legitimation durch Wahlen politische Entscheidungen fällen zu können, die den Kurs des Landes bestimmen.
Dem vorgeblichen Kampf der Protestbewegung gegen die Korruption liegt jedoch tatsächlich ein überdehnter Korruptionsbegriff zugrunde. Als Korruption bezeichnet wird nämlich eine sogenannte „populistische“ Politik, die sich darauf ausrichtet, die materielle Situation der ärmeren Bevölkerungsschichten Thailandes und insbesondere der lange vernachlässigten Menschen im Norden und Nordosten zu verbessern. Die hierfür bereitgestellten finanziellen Mittel werden als Ausdruck von Korruption und Stimmenkauf missinterpretiert. Als Korruption bewertet wird ebenfalls der Versuch der Regierungspartei, per gesetzlicher Bestimmung eine Wahl des Senates durch das Volk zu ermöglichen. In Wirklichkeit sind diese politischen Maßnahmen jedoch nicht als Ausdruck von Korruption, sondern als Ausdruck einer durch die Bevölkerung in freien Wahlen legitimierten und von der Bevölkerung mehrheitlich gewollten Politik zu betrachten.
Der Kampf der Opposition gegen die Korruption ist demnach vor allem ein Kampf gegen eine Ausrichtung der Politik, die ihre supportive Rolle für die Interessen der thailändischen Oberschicht reduziert und die Interessen der ärmeren Bevölkerung Thailands in den Fokus stellt. Die Auswirkungen dieser Politik zeigen sich beispielsweise in Form einer für alle erschwinglichen medizinischen Behandlung, sogar komplizierterer Operationen, oder auch in Form von zahlreichen Förderungsmaßnahmen für lokale Initiativen der dörflichen Bevölkerung, die zu Infrastrukturverbesserungen geführt haben und die Lebenssituation der betroffenen Menschen spürbar verbesserten. Diese konkreten Verbesserungen der Lebenssituation der ärmeren Bevölkerungsschichten in Thailand begünstigte letztlich die Entstehung der sogenannten Rothemdenbewegung, die sich als Reaktion auf den Versuch der traditionellen Machtelite bildete, bei Umgehung der Wahlurnen die Revision der alten Machtstrukturen rückgängig zu machen und so die eigene Macht zurück zu gewinnen und dauerhaft abzusichern.
Ohne eine Mehrheit der Bevölkerung auf ihrer Seite ist ein Militärputsch die einzige Chance der Protestierenden, die Macht zu erringen. Einen Militärputsch wird es aber aller Wahrscheinlichkeit höchstens dann geben, wenn die Gewalt, die in Form von Bombenanschlägen und Schusswechseln teilweise bereits eingetreten ist, zunimmt. Der Führer der Protestbewegung Suthep lässt keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit, den Kampf um die Macht bis zum Sieg zu führen. Diesen Sieg kann er aber nur erringen, wenn Gewalt eskalieren und das Militär eingreifen wird.
Der Ausgang des Machtkampfes in Thailand ist noch offen. Allerdings ist bereits jetzt vorhersehbar, dass gerade dann, wenn der alten Machtelite die Rückeroberung der Macht gelingen sollte, das dauerhafte Ende der Macht dieser Elite naht. Ein Herrschaft einer durch die Mehrheit abgelehnten Elite wird auf politische Verfolgung und Repression im großen Stil zurückgreifen müssen, zumal es Millionen Rothemden gibt, die ein politisches Bewusstsein über ihre marginalisierte Position in der Gesellschaft erworben haben.
Wenn es Suthep, seinen Unterstützern und Hintermännern tatsächlich gelingen sollte, die demokratisch gewählte Regierung von Yingluk zu stürzen, unmittelbare Neuwahlen zu verhindern und weitreichende „Reformen“ durchzusetzen, die ihnen dauerhaft die Macht sichern sollen, wird sich die Mehrheit der Bevölkerung erneut um den Wahlsieg betrogen sehen. Es würde mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Überzeugung in der Bevölkerung entstehen, dass eine demokratische Erringung der politischen Macht in den gegenwärtigen Strukturen nicht möglich ist, weil die alte Machtelite die Gesetze des Landes zu ihrem eigenen Wohl bestimmt und Wahlniederlagen nicht anerkennt. Infolge wird es in diesem Fall vermutlich früher oder später zu einer Erhebung der Mehrheit kommen, die durch reine Gewalt nicht mehr aufhaltbar sein wird und in deren Ergebnis die traditionelle Machtelite Thailandes ihren derzeit noch vorhandenen politischen Einfluss im Gesamten und dauerhaft verlieren wird.
Der Kampf des Suthep ist insofern nicht als eine dauerhafte Bedrohung der Demokratie in Thailand zu betrachten, sondern er ist ein letztes und ebenso verzweifeltes wie skrupelloses Aufbäumen vor dem endgültigen Fall.
Für die Menschen in Thailand bleibt zu hoffen, dass Suthep letztlich doch noch den Weg des gesichtsbewahrenden Rückzuges beschreiten wird, möglicherweise im Sinne einer durch die Regierung soeben angebotenen moderaten Verschiebung des Wahltermins (siehe hier). Für Suthep würde dies allerdings bedeuten, die absehbare Wahlniederlage zu akzeptieren und auf die angestrebte Machtergreifung zu verzichten. Gegenwärtig ist er hierzu - jedenfalls gemäß seiner Verlautbarungen - nicht bereit.
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