Umgang mit den Straftätern von Köln: Resozialisierung statt unwirksamer Härte
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Die Forderung nach Abschiebung von Menschen, die sexuelle oder andere Übergriffe begingen, ist Ausdruck eines nationalen Egoismus. Anstatt Maßnahmen zu ergreifen, damit die Täter nicht mehr rückfällig werden, soll der Rückfall lediglich auf deutschem Staatsgebiet vermindert werden. Was anderswo geschieht, ist aus dieser Logik egal. Die deutsche, weiße Frau soll geschützt werden, Frauen in Syrien, Irak, Marokko oder Afghanitan zählen nicht.
Eine vergleichbare Logik war bereits beim Umgang mit islamistischem Fundamentalismus zu beobachten:
Politiker von CDU/CSU waren die ersten, die Personen mit vermuteter oder belegter Nahe zu al-Qaida oder Islamischem Staat schnell abschieben wollten. Das Motto: Wenn sie anderswo womöglich dutzende Menschen in den Tod reißen, ist das nicht unser Problem. "Hartes Durchgreifen" nennen es die einen, "Terrorexport made in Germany" könnte man es ebenfalls nennen.
Sexuelle Übergriffe sind in andere Länder zu verlagern, das bedeutet Abschiebung de facto. Die Forderung nach Abschiebung mag aus Hilflosigkeit entstehen. Diese Hilflosigkeit speist sich aus mangelndem Faktenwissen über die Alternativen. Von Politikern und Medienverantwortlichen ist aber zu fordern, sich dieses Wissen anzueignen, anstatt das populistische Mantra schneller Abschiebungen zu wiederholen und in der Bevölkerung zu verankern.
Was kann getan werden?
Anstatt Menschen unverändert in andere Länder zu schicken, wo sie gegebenenfalls neue Opfer produzieren, sollte über Maßnahmen diskutiert werden, die diese Menschen von weiteren Straftaten abhalten. Die eigentlich wesentliche Fragestellung lautet: was kann getan werden, damit Straftaten sich nicht wiederholen?
Die Frage der Auswirkungen von sogenannten Maßnahmen der Härte auf das individuelle Rückfallrisiko eines Straftäters wurde umfangreich wissenschaftlich untersucht. In aller Kürze zusammengefasst (siehe auch hier einen Artikel des Verfassers), ergibt der Befundstand, dass Maßnahmen der Härte wirkungslos sind oder sogar das Rückfallrisiko erhöhen. Freiheitsstrafen führen demnach im Vergleich zu ambulanten Sanktionen zu einer Erhöhung des Rückfallrisikos oder zu keinen Auswirkungen. Gleiches gilt für längere versus kürzere Freiheitsstrafen. Die Verlegung von Heranwachsenden in den Erwachsenenvollzug erhöht das Rückfallrisiko. Arrestmaßnahmen im Jugendlichenbereich gehen ebenfalls mit einem höherem Rückfallrisiko einher als ambulante Maßnahmen, die auf Freiheitsentzug verzichten. Abschiebungen verändern höchstens die Nationalität der Opfer und können zudem durch daraus resultierende Illegalisierung im Einzelfall auch in Deutschland das Kriminalitätsrisiko erhöhen.
Wie also sollte nun aus einer dem Ziel der Kriminalitätsprävention verpflichteten und die Prinzipien des Rechtsstaates beachtenden Perspektive mit den Männern umgegangen werden, die gerade in Köln die Übergriffe verübten?
Die allgemeine Antwort lautet:
Für den Umgang mit Kriminalität stehen rechtsstaatliche Methoden zur Verfügung. Diese rechtsstaatlichen Methoden bedürfen keiner politischen Anleitung, im Gegenteil ihre Anwendung wird durch auf Wählerstimmen ausgerichtete politische Agitation gefährdet.
Es gelten die Prinzipien des Verbots von Vorverurteilungen, der unparteilichen Ermittlungstätigkeit, des in dubio pro reo vor Gericht sowie des angemessenen Bezugs von Delikt- und Sanktionsschwere. So ist beispielsweise eine Vergewaltigung ein schweres Delikt, welches einer Freiheitsstrafe bedarf, anders als die sogenannte sexuelle Beleidigung, unter die sexuelle Belästigungen subsumiert werden können, und die nur mit einer Geldstrafe geahndet wird. Wer beides gleichsetzt, gibt rechtsstaatliche Maßstäbe auf, was nicht bedeutet, dass sexuelle Belästigungen nicht ein gravierendes gesellschaftliches Problem wären. Bezüglich der Vorfälle in Köln liegen derzeit keine Informationen über die Zusammensetzung der in Rede stehenden Delikte vor, ein ganzes Land diskutiert, ohne tatsächlich zu wissen, was geschah. Sicher ist aber, dass rechtssstaatliche Maßnahmen in Abhängigkeit von Deliktart und -schwere durchgeführt werden müssen. Der Rechtsstaat steht vor keiner neuen Situation, gefragt ist lediglich die Anwendung der rechtsstaatlichen Instrumentarien.
Ausfall besonnener Stimmen
Alle rufen nach Strafe und Abschiebung, niemand aber erwähnt die Begriffe der Resozialisierung und Therapie. Tatsächlich aber hat umfangreiche internationale Forschung die Wirkungsamkeit von kriminalitätspräventiven Maßnahmen belegt. Wirksam sind soziales Kompetenz- und Anti-Aggressionstraining, suchttherapeutische Maßnahmen, multisystemische Maßnahmen unter Einbezug der Familie im Jugendlichenbereich, sowie Erziehungs- und Ausbildungsmaßnahmen. Am effektivsten ist die Integration der Täter in hinreichend breit angelegte verhaltenstherapeutische Maßnahmen, in deren Rahmen die kriminalitätsursächlichen Faktoren individuell bearbeitet und Strategien für ein angemessenes Sozialverhalten trainiert und auf den Alltag übertragen werden können. Solche Maßnahmen führen - ander als reine Freiheitsstrafen - zu signifikanten Minderungen künftiger Straffälligkeit und damit zur Reduktion der Anzahl von Kriminalitätsopfern. Bei entsprechender Deliktschwere, die Freiheitsstrafen erfordert, können entsprechende Maßnahmen im Strafvollzug durchgeführt werden, auch wenn eine Durchführung außerhalb des Strafvollzugs nach den vorliegenden empirischen Befunden wohl wirksamer ist.
Die aktuellen Übergiffe und Straftaten von Köln schreien förmlich nach einer Dikussion über kriminalitätspräventive Maßnahmen und deren bessere Umsetzung in der Praxis. Denn die beispielsweise im Jugendstrafrecht oft angeordneten Trainigskurse sind zu schmal angelegt und schöpfen bei weitem nicht das potentielle Wirkungsspektrum kriminalitätspräventiver Maßnahmen aus. Zu oft wird zudem statt wirksamer kriminalitätspräventiver Maßnahmen der wirkungslose Jugendarrest verhängt.
Übrigens dienen kriminalitätspräventive Maßnahmen nicht nur dem Opferschutz und der Resozialisierung von Tätern, sondern auch der Kostenreduktion. Fortgesetzte Kriminalität führt zu bei weiten höheren finanziellen Belastungen, als wenn durch effektive kriminalitätspräventive Maßnahmen die Spirale der Kriminalität durchbrochen wird.
Dämonisierung und Rassismus sind nicht hilfreich
Ein Grund, warum weder in den Medien noch durch die Politik über kriminalitätspräventive Maßnahme gesprochen wird, dürfte in der Dämonisierung der Täter liegen. Es sind weniger die sexuellen Übergriffe und anderen Straftaten an sich, die die Menschen erregen, als die Vorstellung, dass fremdländische, dunkelhäutige Männer deutsche, weiße Frauen berührten. Dies wird auch deutlich anhand des durchaus stürmerartigen Titelbildes des aktuellen Focus, der einen durch schwarze Handabdrücke befleckten Frauenkörper zeigt. Es wird auch erkennbar in der Sachlage, dass die Alltäglichkeit sexueller Übergrifflichkeit und Gewalt ansonsten keineswegs zu vergleichbarer Empörung führt. Auch jahrzehntelange schwere sexuelle Übergriffe katholischer Würdenträger auf Kinder haben nicht zu einer auch nur annähernd vergleichbaren gesamtgesellschaftlichen und medialen Reaktion geführt wie jetzt die Vorfälle von Köln - geschweige denn die unzähligen Übergriffe weißer Pastoren auf dunkelhäutige Kinder in der dritten Welt. Während der Islam nun selbst für Übergriffe von Personen verantwortlich gemacht wird, die ihre mangelnde Verankerung im islamischen Denken bereits durch öffentlichen Alkoholkonsum unter Beweis stellten, kam niemand auf den Gedanken, das Christentum an sich für sexuellen Kindesmissbrauch in die Pflicht zu nehmen.
Die aktuelle Abschiebediskussion entspringt einem aufgeheiztem gesellschaftlichem Klima, welches immer mehr die Maßstäbe von Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit hinter sich lässt. Maßvolles Handeln scheint derzeit nicht opportun. Es wird gar der Eindruck vermittelt, man verharmlose sexuelle Gewalt und Übergrifflichkeit, wenn man auf den Prinzipien des Rechtstaates beharrt. Jeder fühlt sich so verplichtet, in den nach Rache schreienden Chor einzustimmen. Dass dadurch Straffälligkeit nicht gemindert und sicherlich Frauen nicht geschützt werden, wohl aber Rassismus gefördert wird, bleibt unbemerkt, wird in Kauf genommen oder sogar gewollt.
Wenn es aber tatsächlich darum gehen sollte, eine angemessene Antwort auf sexuelle Übergriffe und Straftaten im Allgemeinen zu finden, bedarf es keines Mob-Geschreis, keiner neuen Gesetze (wobei ein separater Straftatbestand sexuelle Belästigung sicherlich seit Langem sinnvoll ist) und keiner wirkungslosen Strategien der Härte, sondern es bedarf Rechtsstaatlichkeit, Besonnenheit und Vernunft. All dies droht derzeit in der aufgeregten Diskussion abhanden zu kommen. Es wird höchste Zeit, dass den Populisten nicht mehr die Meinungsführerschaft entlassen wird.
Verfasser: Guido F. Gebauer (gebauer@gleichklang.de)
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