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IS in Syrien: Obama war unbekannt, wovor seine Kritiker warnten

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Soeben hat US-Präsident Barak Obama verlauten lassen, die US-Geheimdienste hätten die Bedrohungen durch die radikalen Islamisten in Syrien unterschätzt. Diese Unterschätzung ist aus zweierlei Gründen bemerkenswert: Sie war unnötig und sie hat zu verheerenden Folgen geführt.

 

Auf menschenrechte.eu warnten wir von Anfang an, dass die westliche Politik in Syrien zu einer Katastrophe führen würde. Dies taten wir nicht, weil wir Freunde oder Unterstützer des menschenverachtend handelnden Diktators Baschar al-Assad gewesen wären, sondern weil wir die Menschen in Syrien und in anderen Staaten vor noch größeren Unheil schützen wollten.

 

Doch selbst als der Einfluss der Islamisten immer stärker sichtbar wurde, als Menschenrechtsverletzungen auch der Rebellen eskalierten, als Religionshass in immer mehr Exzessen explodierte, beharrten die Obama-Administration und mit ihr ihre westlichen Verbündeten auf der Einschätzung, dass die sogenannten moderaten Rebellen in Syrien das Sagen hätten und der Einfluss der Islamisten begrenzt sei. Großer Teile der Massenmedien folgten dieser Darstellung. Aus ihren Berichten konnte die Bevölkerung nicht entnehmen, dass die Politik der westlichen Regierungen dabei war, das syrische Volk in den Ruin zu treiben - mit hunderttausenden Toten und Millionen Vertriebenen als kalkulierbare Folgen.

 

Vorhersehbar war ebenfalls, dass der Konflikt nicht auf Syrien begrenzt bleiben müsste, sondern eine Destabilisierung der gesamten Region resultieren könnte. Durch die Informationspolitik der USA und ihrer westlichen Verbündeten gelangte dies Szenarium aber kaum in das Bewusstsein vieler Menschen.

 

Plötzlich wurden wir Zeugen der Groteske, dass die von den westlichen Staaten hochgehaltene und massiv finanziell wie auch militärisch unterstützte Syrian Revolutionary Front (SRF) sich mit der al-Nusra Front, der offiziellen Vertreterin der al-Qaida in Syrien, verbündete und der Führer der SRF dies öffentlich eingestand. Selbst dies führte zu keiner Wende in der westlichen Syrienpolitik und auch nicht in der dominierenden Berichterstattungstendenz der großen Medien. Geradezu bizarr hielt das Land, welches sich als Opfer des 11. September sieht und dies auch ist, an der Unterstützung einer Organisation fest, die durch ihren Anführer erklären ließ, im Bündnis ausgerechnet mit denjenigen zu stehen, denen die USA als Urheberin der 11. September Anschläge den Krieg erklärt hatte.

 

Unterstützt durch die USA lieferten Saudi Arabien und Katar riesige Waffenmengen an die syrischen Rebellen, die – mit aller Wissen, Duldung und sogar aktiver Unterstützung – insbesondere von der Türkei aus über die Grenze ausgeliefert wurden. Mittlerweile liefern die USA auch direkt. Natürlich verbleiben solche Waffen nicht ausschließlich bei den direkten Empfängern, so dass es nicht erstaunlich ist, dass sie zahlreich in den Händen der al-Nusra Front und der ISIS landeten.

 

Zwischenzeitlich sind mehr Menschen gestorben, wurden mehr Menschen verletzt oder verstümmelt und wurden mehr Menschen vertrieben als jemals geschädigt worden wären, selbst wenn das Assad-Regime noch Jahre ohne Veränderung fortbestanden hätte. Im dritten Jahr des bewaffneten Kampfes gegen Assad versinkt Syrien in Zerstörung und Elend und nimmt den Irak mit auf seinen Weg. Der bewaffnete Kampf führte nicht zu Freiheit und Demokratie, sondern zu einer Eskalation der Gewalt.

 

Das Erstaunen des Barak Obama über die auch durch seine Politik freigesetzten Kräfte ist verwunderlich, zumal bereits vor Syrien der durch NATO-Bomben durchgesetzte Regime-Wechsel in Libyen zu einem vergleichbaren Desaster geführt hatte. Im Namen der Menschenrechte wurde dort ein Krieg geführt, der Libyen zu einer zerfallenen Gesellschaft machte, dessen Bevölkerung sich seither willkürlich operierenden Milizen, Rassismus und anarchischer Gewalt ausgesetzt sieht. Hinter dem Krieg standen damals fraglos machtstrategische Überlegungen, die in Verkennung des Kräfteverhältnisses in Libyen annahmen, es könnte dort eine dauerhaft den eigenen Interessen verbundene Regierung installiert werden. Dass eine derartige Verkennung sich anschließend in Syrien wiederholte und dem US-Präsidenten das Ausmaß der Bedrohung durch radikal-islamistische Kräfte in Syrien nicht klar gewesen sei, kann nur als eine grobe Fahrlässigkeit bewertet werden. Millionen Menschen haben für diese Fahrlässigkeit seither einen bitteren Preis gezahlt. Selbst als Libyen in Anarchie stürzte, glaubte die Obama-Administration, in Syrien einen Sturz des Diktators Assad durch Gewalt durchsetzen zu können. Mit ihrem Fokus auf dem bewaffneten Kamp stellte sich die Obama-Administration gegen die Lebensinteressen des syrischen Volkes und gleichzeitig gegen die tatsächlich an den Menschenrechten orientierte syrische Opposition gegen Assad, die sich im National Coordination Committee for Democratic Change (NCC)  zusammengeschlossen hatte. Das NCC lehnte den bewaffneten Kampf gegen Assad ab, weil es fürchtete, dass dieser für das syrische Volk zu einer noch schlimmeren Tragödie führen würde. Heute zweifelt niemand mehr daran, dass diese düstere Prognose wahr geworden ist.

 

Abseits rein machtstrategischer Überlegungen gibt es politische Kräfte, die aus ihrer innerlichen Überzeugung heraus sich tatsächlich den Menschenrechten verbunden fühlen und dennoch die US-Politik der kriegerischen Eskalation mittrugen. Sie meinten, durch Krieg Freiheit, Demokratie und die Einhaltung der Menschenrechte erzwingen zu können. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Partei Bündnis90/Die Grünen das bekannteste Beispiel hierfür.

 

Die grüne Politikerin Marieluise Beck begrüßte gar die NATO-Luftangriffe auf Libyen schwärmerisch und glaubte, in ihnen eine Lektion aus dem Holocaust erkennen zu können:

 

" Ich bin erleichtert, dass die Weltgemeinschaft aus der Geschichte von Ruanda und Srebrenica gelernt hat und ihre Schutzverantwortung im Falle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wahrnimmt. Selbst Länder wie Russland und China stellten sich dem nicht mehr entgegen. Damit folgen die Vereinten Nationen ihrem eigentlichen Gründungskonsens, nämlich der Schutzverantwortung für bedrohte Völker als Lehren des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. "

 

Heute wirken diese Worte von Marieluise Beck skuril. Denn für das libysche Volk bedeutete diese Lektion die nahezu komplette Zerstörung seiner Gesellschaft und die Aufhebung selbst einer basalen persönlichen Sicherheit. Abertausende befinden sich seither in Foltergefängnissen. Am falschen Ort zur falschen Zeit zu sein, kann in Libyen selbst bei einem kurzen Einkauf den Tod bedeuten. Derweil bricht das medizinische Versorgungssystem zusammen, zwei rivalisierende Regierungen bekämpfen sich und Raketen- und Bombenangriffe sind in Tripolis und Benghazi zur Alltagsroutine geworden. In Tawergha verbleiben die Ruinen dieser einstmals von schwarzen Libyen bewohnten Stadt, die bis zum letzten Säugling und Greis aufgrund ihrer Hautfarbe aus der Stadt vertrieben wurden. Sie leben jetzt wie Vogelfreie im eigenen Land und müssen jeden Tag Verschleppung, Folter, Versklavung und Exekution befürchten. Auch Human Rights Watch spricht mittlerweile von einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit

 

Marieluiese Beck und mit ihr alle anderen, die glaubten, mit Krieg in Irak, Libyen und Syrien die Menschenrechte durchsetzen zu können, ließen sich von anderen Kräften, denen es nur verbal um die Menschenrechte ging, instrumentalisieren. Sie trugen mit einer hochmoralisch gefärbten Argumentation dazu bei, die Kriegsbereitschaft der Bevölkerung zu erhöhen. Sie verkannten in schrankenloser Naivität die realen Bedingungen in den Ländern, die sie durch Krieg befreien wollten, die aber tatsächlich durch die resultierenden Kriege in noch tieferes Elend gestürzt wurden. Vorzuwerfen ist ihnen, dass sie sich weigerten hinzuschauen und sich selbst als Libyen bereits in Anarchie stürzte in Syrien für erneuten Krieg positionierten. „Bündnis 90/ Die Grünen: Das Erbe der Friedensbewegung heißt Krieg“, lautete der bittere Titel eines anderen Artikels auf menschenrechte.eu. 

 

In der Gesamtbetrachtung führte der bewaffnete Kampf in Syrien zu einer Marginalisierung der Teile der syrischen Opposition, die auf friedlichen Widerstand setzte. Geschaffen wurde dadurch die Ausgangslage für den Aufschwung des IS und für die Zerstörung Syriens und des Iraks. Mit ihrem Engagement für militärische Lösungen stürzten die westlichen Staaten Syrien und den Irak in die IS-Katastrophe, die auch weitere Staaten, wie den Libanon und ebenfalls Libyen bedroht. 

 

Barak Obama ist nach seinen neuerlichen Äußerungen durch all dies überrascht worden. Selbst wenn dem so sein sollte, bleibt es sein Vergehen, sich nicht vorher informiert und die warnenden Stimmen überhört zu haben. Dieser Fehler entspricht aufgrund seiner Vorhersehbarkeit, der zahlreichen warnenden Stimmen und der schwerwiegenden Folgen mit Millionen Betroffenen einem Verbrechen.  „Die Geister, die wir riefen, werden wir nicht mehr los“, lautete ein vorheriger Artikel auf menschenrechte.eu. 

 

Die Kritiker der Logik der militärischen Eskalation müssen sich oft Vorwürfe anhören, sie würden Diktatoren unterstützen. Schnell werden auch Parallelen zu Hitler gezogen, wobei der historische Vergleich bereits deshalb oftmals irregeleitet ist, weil die betreffenden Diktatoren (Saddam Hussein, Muammar al-Gaddafi, Baschar al-Assad) ganz im Gegensatz zu Hitler bereits jahrzehntelang im Amt waren und keine Politik der weltweiten Expansion betrieben. Der Vorwurf an die Friedensbewegung, mit den schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen dieser Diktatoren zu kollaborieren, weil die Logik der militärischen Lösung verneint wird, ist unwahr und heuchlerisch. So wurden noch 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland Flüchtlingen aus Syrien abgeschoben, unter ihnen Deserteure. Die USA ließen einige Jahre zuvor in Syrien im Rahmen von Rendition foltern. Nicht nur der damalige französische Präsident Sarkozy umschwämte den libyschen Diktator, an den u.a. England Terrorismusverdächtige ausliefern ließ. Auch waren es nahezu alle westlichen Staaten, die Saddam Hussein im Krieg gegen den Iran mit Waffen versorgten und damit zur Aufrechterhaltung eines Krieges mit Millionen Toten beitrugen, wie auch zu den späteren Giftgasangriffen gegen die Kurden.

 

Echte Menschenrechtler stehen zwischen den Fronten. Sie kämpfen für die Einhaltung der Menschenrechte in allen Ländern und stellen sich der Instrumentalisierung von Menschenrechten für machtstrategische Fragestellungen entgegen. Die Unterstützung von Flüchtlingen und Asylbewerbern und die Solidarität mit dem friedlichen Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Diktatur gehören zum Kern des politischen Handelns der Friedensbewegung. Krieg im Namen der Menschenrechte fordern demgegenüber oftmals diejenigen, die gegenüber Flüchtlingen eine Politik des „Das Boot ist voll“ betreiben, Menschen gnadenlos in Folter, Inhaftierung und Lebensgefahr abschieben lassen und mit jederzeit bereit sind, mit Diktatoren zu kooperieren, wenn sich dies aus machtstrategischen Gründen anbietet. Auch bezüglich der Grünen in der Bundesrepublik Deutschland dürfte es im Übrigen kein Zufall sein, dass die Unterstützung von Kriegen mit der Abkehr von der Solidarität mit den Flüchtlingen einhergeht, deren Anliegen einstmals mit zum Kernanliegen der Grünen gehörte. Mit der rasch voran schreitenden Opferung auch der Flüchtlinge (siehe den Asylkahlschlag des grünen Ministerpräsidenten Kretschmann) scheint bei den Grünen aktuell der letzte Akt der bemerkenswerten Umkehr einer Partei begonnen zu haben, die einstmals maßgeblicher Teil und Erbverwalter der Friedensbewegung gewesen ist.

 

Für die Toten und Verstümmelten in Libyen, Syrien und im Irak ist es bereits zu spät, aber eine Umkehr zu einer Politik, die konsequent auf Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte setzt, ist noch möglich. Hierzu muss auch - alles andere wäre unrealistisch und damit zum Schaden der betroffenen Menschen - eine gemeinsame Verständigung zwischen dem Assad-Regime, der SRF und dem NCC, sowie zwischen Schiiten, Sunniten, Kurden, Yesiden und Christen im Irak gehören, um eine Deeskalation und einen schrittweisen Wandel zu erreichen. Eine solche Politik, für die es derzeit leider keine Anzeichen gibt, wäre am ehesten geeignet, den Vormarsch des IS auch langfristig zu stoppen und seine Unterstützungsbasis auszutrocknen. Die einzig wirksame Antwort auf die IS lautet Rechtsstaatlichkeit und Solidarität. Wenn dies die USA und die mit ihr verbündeten westlichen Staaten nicht lernen zu verstehen, droht eine fortwährende Erosion der Menschenrechte bis von diesen eines Tages nichts mehr übrig geblieben sein könnte.

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