Libyen – ein warnendes Beispiel, was eine Militärintervention im Namen der Menschenrechte anrichten kann
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In Libyen schaut die Welt dem Untergang des letzen Restes an Menschlichkeit zu
Einstmals galt die westliche Militärintervention als Maßnahme zum Schutz der Menschenrechte. Heute kann kaum noch jemand übersehen, in welche Katastrophe die Menschen und Völker in Libyen durch diesen Krieg gestoßen wurden. Auch ein neues Foltervideo zeigt, wie weit entfernt Libyen von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten ist. Derweil setzen die westlichen Staaten mittlerweile auf Eindämmung und Abschottung, von einer Befreiung des libyschen Volkes spricht niemand mehr. Libyen sollte denen zur Warnung dienen, die allzu schnell bereit sind, im Namen der Menschenrechte nach militärischen Interventionen zu rufen. Der Ruf nach einer solchen Intervention mag ernsthaft durch eine Orientierung an den Menschenrechten begründet sein, aber im Ergebnis können Menschenrechtskatastrophen wie in Libyen entstehen, wo es den Menschen und den Menschenrechten vier Jahre nach der "Befreiung" heute schlechter als jemals zuvor geht.
Soeben sind in Sirte, der Stadt, die unter dem Schutzschirm der NATO in Schutt und Asche geschossen wurde, offenbar 150 bis 200 Menschen einem Massaker des islamischen Staates zum Opfer gefallen. Von der Gaddafi-Herrschaft durch eine Raketenhölle und anschließende Massaker „befreit“, sind die Menschen in Sirte als Ergebnis dem islamischen Staat übergeben worden. Doch Dauerverheerungen des Krieges sind nicht nur in Sirte geblieben, sondern prägen die Mehrheit des libyschen Stattsgebietes, wobei die negativen Auswirkungen noch sehr viel weitreichender sind und ebenfalls Länder, wie Mali und Syrien, betreffen.
Libyen ist zerfallen, die Gesellschaft ist komplett zerstört, Menschenrechtsverletzungen haben ein astronomisches Ausmaß angenommen, welches (wohlgemerkt in diesem Ausmaß) unter Muammar al-Gaddafi – trotz all seiner Menschenrechtsverletzungen - unbekannt war. Im eigenen Land ist ein gefahrloses Reisen nicht mehr möglich, bereits Spaziergänge können schnell zur Lebensgefahr werden. Die Menschen müssen sich in ihre Häuser zurück ziehen, Frauen sowieso. Regelmäßige Beschulung, Arbeit und Gesundheitsversorgung - für immer mehr Libyer gibt es sie nicht mehr. Mindestens 434000 von insgesamt sechs Millionen Libyern sind im eigenen Land auf der Flucht (siehe iDMC-Statistik) , zwei Millionen haben das Land verlassen, wobei ein Großteil in Tunesien Zuflicht gesucht hat. Die Lebensmittel- und Weizenimporte, auf die Libyen zur Versorgung angewiesen ist, sinken und eine Nahrungsmittelknappheit droht.
Unzählige Milizen haben an unzähligen Orten die Macht übernommen, die sich wechselseitig bekämpfen und verbünden, die rauben, morden und vergewaltigen, die Menschen- und Sklavenhandel betreiben. Amnesty spricht von dem „Gesetz der Schusswaffe“ in einem neueren Bericht zu zunehmenden Kriegsverbrechen durch Milizen. Ausgeliefert sind ihnen mehr als eine Millionen Flüchtlinge, die unter ihrer Ägide Fürchterliches erleiden müssen. Schaffen Sie es nicht auf die Boote über das Mittelmeer, drohen ihnen Verschleppung, Dauerinhaftierung, Hunger, Durst, Versklavung, Vergewaltigung und Exekution. Erreichen sie die Boote, riskieren sie, im Mittelmeer zu ertrinken. Amnesty International schildert „fürchterliche Misshandlungen, die die Flüchtlinge auf die See treiben“. Gegen diese Flüchtlinge richtet sich gleichzeitig die Abschottungspolitik der Europäischen Union, einschließlich der Bundesregierung unter Angela Merkel. Mit allen Mitteln sollen sie von den Booten ferngehalten und damit den Milizen und Menschenhändlern dauerhaft ausgeliefert werden. Auf deutscher Seite mit der Exekution dieser Politik beauftragt ist der Frontex-Verantwortliche Klaus Rösler, der schriftlich dafür eintrat, Menschen möglichst nicht zu retten, sondern dies der libyschen Küstenwache zu überlassen, von der ihm fraglos bekannt ist, dass sie zu konzertierten Rettungsaktionen nicht in der Lage ist und zudem Gerettete inhaftieren und verschleppen lässt. Ebenso dürften Klaus Rösler und seine politischen Auftraggeber wissen, dass die Küstenwache,mit der sie zusammenarbeiten wollen, unter dem Einflussbereich der in Tripoli die Macht ausübenden islamistischen Libyan Dawn Miliz steht. Die großen Worten von Menschenwürde, die man zur Legitimation des Befreiungskrieges in Libyen verwandte, verwandeln sich plötzlich in eine Praxis der Beihilfe für Menschheitsverbrechen. Die Zerstörung dessen, was es an libyscher Gesellschaft gegeben hat, ist auf Seiten der westlichen Befreier mit der Zerstörung der eigenen Menschlichkeit einhergegangen. Es geht nicht mehr um Befreiung, sondern um Eingrenzung und Fernhaltung um jeden Preis. In einem symbolischen Protest wurde Klaus Rösler als der Vollstrecker dieser tötlichen Politik übrigens vor einiger Zeit bei einer Veranstaltung mit Marmelade beworfen - Menschenleben retten kann ein solcher symbolischer Protest leider nicht.
Soeben wurden derweil zahlreiche 32 Gaddafi-Anhänger, unter ihnen sein Sohn Saif al-Islam Gaddafi's, in einem Verfahren bar jeder Rechtsstaatlichkeit zum Tode verurteilt. Weder war eine angemessene Verteidigung möglich noch wurden die Angeklagten vor Misshandlung und Folter gschützt. Folterer nehmen im „befreiten“ Libyen ihre Taten gerne auf Video auf, so dass kürzlich die Folter des weiteren Sohnes von Muammar al-Gaddafi, al-Saadi Gaddafi, im Internet veröffentlicht wurde. Die Folter bestand sowohl darin, andere Folterungen anhören und danach anschauen zu müssen, wie auch eigene Schläge zu erleiden, wobei Gaddafi die Wahl zwischen Schlägen auf das Gesäß und die Füße gegeben wurde, deren Verabreichung dann vollzogen wurde. Die Folterer sind klar zu erkennen und niemand hat sie bisher zur Verantwortung gezogen, noch gibt es einen internationalen Aufschrei der Empörung.
Mit höchster medialer Aufmerksamkeit ließen sich die westlichen Staatsführer Sarkozy und Cameron in Libyen kurz vor dem Foltermord und finalen Sturz Gaddafis in Libyen als Befreier feiern. Nie wieder ist seither einer von ihnen oder ein Nachfolger nach Libyen zurück gekehrt. Es gäbe wohl niemanden mehr, der sie dort feiern würde. Sie haben ihren Krieg in Libyen zu Selbstbeweihräucherung und Wahlkampf genutzt und seither die libyschen und nicht-libyschen Menschen in Libyen ihrem düsteren Schicksal überlassen. Der auf Video in weiten Teilen dokumentierte Foltermord an Gaddafi, der mit analer Vergewaltigung einherging, wurde übrigens damals in seinem Ergebnis durch den SPD-Fraktionsvize Gernot Erler begrüßt, auch wenn er ein Gerichtsverfahren vorgezogen hätte: „Mit dem Ende Gaddafis ist endgültig der Weg frei für einen politischen Neuanfang in Libyen“, meinte der SPD-Politiker in offensichtlicher Verkennung der bereits damals sichtbaren Signale für eine dauerhafte Destabilisierung Libyens mit einer verheerenden Eskalation von Menschenrechtsverletzungen als Folge. Immerhin lachte Erler den Foltermord nicht mit Begeisterung weg, wie dies Hilary Clinton mit den Worten „We came, he saw, he died“ tat, womit sie gleichzeitig den Mythos der Selbstbefreiung des libyschen Volkes von Gaddafi ad absurdum führte und klar bekundete, dass es nicht das libysche Volk, sondern die westliche Staatengemeinschaft war, die Sturz und Tod Gaddafis verursachten.
Es bleibt lobenswert, dass der damalige deutsche Außenminister Guido Westerwelle eine Beteiligung an Kriegseinsätzen in Libyen ablehnte, wobei sie sich aber lediglich zur Enthaltung bei der Abstimmung zur Errichtung der verheerenden Flugverbotszone, die lediglich als Vorwand für einen Einstieg in einen durch externe Staaten erzwungenen Regimewechsel diente, im Sicherheitsrat entschließen konnte. Zudem hat Deutschland nichts getan, um die folgenden großen Worte Guido Westerwelles auch nur im Ansatz umzusetzen: "Für die Bundesregierung ist völlig klar, dass wir bei der humanitären Bewältigung der Folgen dieses Krieges unsere Verantwortung wahrnehmen werden … wir werden den Menschen, die jetzt leiden, humanitär beistehen." In Deutschland gingen stattdessen Krankenhäuser schnell dazu über, von libyschen Schwerverletzen Vorauszahlungen für notwendige Operationen zu verlangen. Anders als die Worte Guido Westerwelles hätten vermuten lassen, wurden nicht einmal die Krankenbehandlungskosten für die Schwerverletzen durch die Bundesregierung übernommen. Mittlerweile erhalten Libyer sowieso nur noch unter größten Schwierigkeiten Visa, um in die Bundesrepublik Deutschland einreisen zu können. Wie sich auch gut aus diesem FAZ-Artikel nachvollziehen lässt, hat Westerwelle die deutsche Nicht-Beteiligung an dem Militäreinsatz zum Sturz Gaddafis übrigens niemals als Ausdruck von Neutralität werten wollen und er hat im Gegenteil zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel der NATO „tiefen Respekt“ für den Militäreinsatz gezollt. Wortwörtliches Zitat: „Wir sind froh, dass es den Libyern auch mit Hilfe des internationalen Militäreinsatzes gelungen ist, das Gaddafi-Regime zu stürzen.“ Der damailige FDP-Vorsitzende Phillip Rösler ging sogar so weit zu erklären: „Unser tiefer Respekt und unsere Dankbarkeit gelten auch unseren Verbündeten, die Gaddafis Mordeinheiten entscheidend in den Arm gefallen sind."
Moralische Mitverantwortung für die libysche Katastrophe tragen in der Bundesrepublik Deutschland aber auch bündnisgrüne und sozialdemokratische Politiker. Es war nicht nur der ehemaligen Außenminister Fischer, der lauthals in die Rufe nach einem Militäreinsatz einstimmte, sondern es war auch die Politikerin Marieluise Beck, die sich für einen Militäreinsatz in Libyen aussprach und dabei sämtliche warnenden Stimmen, die vor einer dramatischen Verschärfung von Menschenrechtsverletzungen warnten, überhörte. Marieluise Beck verstieg sich gar in ihrer überschwänglichen Begrüßung des UN-Beschlusses zur Flugverbotszone in die Ansicht, dieser UN-Beschluss ziehe die richtige Lehre aus dem Holocaust:
" Ich bin erleichtert, dass die Weltgemeinschaft aus der Geschichte von Ruanda und Srebrenica gelernt hat und ihre Schutzverantwortung im Falle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wahrnimmt. Selbst Länder wie Russland und China stellten sich dem nicht mehr entgegen. Damit folgen die Vereinten Nationen ihrem eigentlichen Gründungskonsens, nämlich der Schutzverantwortung für bedrohte Völker als Lehren des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. "
Ebenso entschieden für die Kriegsbeteiligung hatte auf SPD-Seite Heidemarie Wieczorek-Zeul plädiert, die ausrief: „Es ist eine Schande, dass sich die Bundesregierung enthalten hat .. Gegenüber Despoten kann es keine Enthaltung geben!“
Weder Marieluise Beck noch Heidimarie Wiecorek-Zeul haben seither ihre Positionen revidiert oder reflektiert. Beide schweigen vielmehr im wesentlichen zur libyschen Katastrophe. Bekannt als Streiterinnen gegen Rassismus schweigen sie sogar beharrlich zum Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Tawergha, wo eine ganze Stadt bis zum letzten Säugling und Greis direkt nach der „Befreiung“ von der Gaddafi-Herrschaft von ihren schwarzen Bewohnern entleert wurde, weil sei angeblich alle Gaddafi-Anhänger gewesen seien und Verbrechen begangen hätten.
Sarkozy und Cameron haben vermutlich rein machtstrategisch und egoistisch gehandelt, Marieluise Beck und Heidimarie Wiecorek-Zeul sind aber wohl eher der naiven Logik zum Opfer gefallen, dass eine westliche Militärinterventionen in Libyen dort die Menschenrechtslage verbessern würde. Ohne die historischen, ökonomischen und kulturellen Besonderheiten Libyens zur Kenntnis zu nehmen, ohne die Fragilität und Diversität der Opposition zu erkennen, die von Demokraten bis hin zu skrupellosen Kriminellen und radikalsten Islamisten reichte, ohne die Gefahr eines Zerfalls und permanenten Bürgerkrieges mit fortschreitender Brutalisierung auch nur zu erwägen und ohne die bereits damals längst dokumentierten Verbrechen auch der Gaddafi-Gegner wissen zu wollen, plädierten sie für eine militärische Maßnahme, von der bereits damals Kritiker erkannten, dass sie Öl in das Feuer des Konfliktes in Libyen und im ganzen Nahen Osten und anderen Staaten Nordafrikas gießen könnte. Dabei waren Marieluise Beck und wohl auch Heidimarie Wiecorek-Zeul bereit, massive `Übertreibungen der Menschenrechtsverletzungen unter Gaddafi unwidersprochen zu lassen und die Menschenrechtsverletzungen unter Gaddafi wider alle Fakten dem Schweregrad von Holocaust und Völkermord zuzuordnen. Es genügt ein Studium der regelmäßigen Berichte von Amnesty International zu Libyen der letzten 10 Jahre, um zu erkennen, dass die schweren Menschenrechtsverletzungen unter Gaddafi in keiner Weise eine derartige Schwere erreichten und nicht schwerwiegender waren als die Menschenrechtsverletzungen zahlreicher Regime, mit denen der Westen weiterhin verbündet ist. Für einen durch Gaddafi zu verantwortenden Völkermord oder gar Holocaust liegen nach wie vor keinerlei Hinweise für. Ebenso deutlich wird aus den Berichten von Amnesty International, dass sich die Menschenrechtssituation in Libyen seit dem Sturz Gaddafis dramatisch verschlechtert hat.
Offenbar erkannten Marieluise Beck, Heidimarie Wiecorek-Zeul und andere eigentlich den Menschen gegenüber wohlmeinende, dem menschenrechtsbezogenem Spektrum zuzuordnende Stimmen nicht die machtstrategische Instrumentalisierung der Menschenrechtsverletzungen in Libyen, die der westlichen Militärintervention zugrunde lag. Machtstrategisch mag es möglich sein, zugleich Menschenrechtsverletzungen missliebiger Regierungen militärisch bekämpfen und mit anderen Menschenschindern zusammenarbeiten zu wollen. Aus einer menschenrechtsbezogenen Sichtweise kann ein solches Verhalten aber für die Menschenrechte nicht förderlich sein. Wer ein Bündnis mit menschenrechtsverletzenden Regimen, wie Saudi-Arabien, schließt und gleichzeitig feindliche Regime im Namen der Menschenrechte militärisch stürzen will, wird den Menschenrechten nicht zu einem Durchbruch verhelfen können. In Wirklichkeit werden hierdurch lediglich Zeichen gesetzt, welches Verhalten von menschenrechtsverletzenden Regimen zu erwarten ist, damit sie keine Militärintervention zu befürchten brauchen. Die westliche Staatengemeinschaft betrieb Heuchelei, als sie sich für den militärischen Sturz Gaddafis entschied und dabei die Menschenrechte als Begründung anführte. Marieluise Beck und Heidimarie Wiecorek-Zeul sind auf diese Argumentation hereingefallen und haben dem libyschen Volk und den Menschenrechten damit einen schlechten Dienst erwiesen. Dass sie dies bis heute nicht reflektiert und ihre damalige Position nicht revidiert haben, ist ihnen vorzuwerfen.
Sind damit militärische Interventionen gegen Menschenrechtsverletzungen in jedem Einzelfall obsolet?
Trotz der bekannten Risiken aller militärischen Interventionen kann diese Frage letztlich nicht bejaht werden. Wenn Menschenrechtsverletzungen gesichert sind, nicht propagandistisch verzerrt werden und tatsächlich das Ausmaß von Völkermorden und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erreichen und keine anderen Wege sichtbar werden, kann eine Situation eintreten, wo eine militärische Intervention das kleinere Übel ist. In Libyen war diese Situation zu keinem Zeitpunkt gegeben. Vor allem aber können solche Interventionen nicht von einer Eigeninteresse verfolgenden und an zahlreichen Orten der Welt selbst Menschenrechtsverletzungen duldenden oder begehenden Staatengemeinschaft durchgeführt werden. Die westliche Staatengemeinschaft verfügt über enorme militärische Mittel, Reichtum und Macht, hält sich aber nicht an Menschenrechts-Standards, sieht vorwiegend die Eigeninteressen und kann daher nicht als eine neutrale Instanz angesehen werden, die in der Lage und bereit wäre, als ultima ratio und ausschließlich menschenrechtsbezogen motiviert mit militärischer Intervention Völkermorde zu beenden. Zudem ist eine militärische Intervention nur dann sinnvoll, wenn an die Stelle spezieller Völkermorde nicht interventionsbedingt andere Völkermorde treten und eine interventionsbedingte Eskalation von Menschenrechtsverletzungen wie in Libyen ausgeschlossen werden kann oder mindestens als sehr unwahrscheinlich erscheint.
Leider stehen derzeit keine Instanzen und Mechanismen zur Verfügung, die im äußersten Notfall als allerletztes Mittel mit einer allein menschenrechtsbezogenen Motivation zu einer Intervention greifen könnten, um unerträgliche Menschenrechtsverletzungen zu beenden. Mitverantwortung für diesen Mangel tragen auch die westlichen Staaten, die sich nämlich selbst solchen Mechanismen nicht unterwerfen wollen und stattdessen alles daran setzen, um internationale Gremien, wie den Internationalen Gerichtshof in Den Haag in ihrer Unabhängigkeit und ihrem Wirkungsgrad zu beschneiden, um sie vorwiegend als Droh- und Machtmittel gegen politische Gegner missbrauchen zu können. Erst wenn es der internationalen Staatengemeinschaft gelingen würde, tatsächlich unabhängige und ausschließlich im Sinne der Menschenrechte handelnde Institutionen und Mechanismen zu schaffen, könnten künftige Katastrophen wie in Libyen vermieden und gleichzeitig denjenigen das Handwerk gelegt werden, die tatsächlich Völkermorde und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen. Noch ist die Welt von einer solchen Entwicklung weit entfernt und die relevanten internationalen Machtblöcke, einschließlich des Westens, Russlands und Chinas, unternehmen keinerlei Schritte in diese Richtung, letztlich um sich selbst die ungestrafte Begehung schwerer Menschenrechtsverletzungen sowie Bündnisse mit menschenschindenden Regimen für die Gegenwart und Zukunft vorzubehalten.
Wie wenig es der westlichen Staatengemeinschaft um die Menschenrechte gilt, zeigt nicht zuletzt ihr Umgang mit den Flüchtlingen. Während sie in Massen im Mittelmeer ertrinken, machen sich die westeuropäischen Regierungen vorwiegend Sorgen, dass zu viele Flüchtlinge ihre Staatsgebiete erreichen könnten. Westeuropa setzt auf eine Abschottungspolitik, die längst eine Todeszone um das Gebiet der europäischen Gemeinschaft gezogen hat und die Verantwortung für den Tod tausender Menschen trägt. Das Massensterben im Mittelmeer ist in Wirklichkeit ein Massaker, wobei die Regierungen der Länder der Europäischen Union sich in der Täterrolle befinden. Die menschenverachtende Reaktion auf die wachsende Flüchtlingsanzahl in Westeuropa zeigt, wie die dünn die Haut der Menschlichkeit ist, und macht erneut deutlich, wie absurd die damalige Argumentation der gleichen Regierungen war, die behaupteten in Libyen für die Menschenrechte zu kämpfen. Interventionen durchzuführen, ohne für die menschlichen Folgen aufkommen zu wollen, hat mit der Durchsetzung von Menschenrechten in Wirklichkeit nicht das geringste zu tun, auch dies hierfür ist Libyen ein Lehrstück.
Der westliche Krieg in Libyen ging in der Realität nicht um die Menschenrechte, sondern ist warnendes Beispiel, wie sehr Menschenrechte der Gefahr der Instrumentalisierung unterliegen und wie Menschenrechtsverletzungen durch leichtfertige und einseitige Interventionen zur Eskalation gebracht werden können. Die libysche Katastrophe ist damit gleichzeitig ein Anzeichen dafür, wie weit entfernt die gegenwärtige Weltordnung von einer Gemeinschaft von Recht und Gerechtigkeit ist. Derweil wird das zerrüttete Libyen nunmehr sich selbst überlassen, jedenfalls solange es gelingt, die direkten Auswirkungen auf westliche Staaten so zu begrenzen, dass das Leid und Elend des libyschen Volkes und der in Libyen festsitzenden Flüchtlinge in großen Teilen ausgeblendet werden und in Sonntagsreden dennoch ungestört Menschenrechte und Demokratie weiterhin zelebriert werden können. Der Anspruch auf moralische Überlegenheit bleibt aufrechterhalten, nur eingelöst wird er nicht.
Damit keine Missverständnisse aufkommen – auch wenn der Artikel eigentlich selbst erklärend sein sollte: In keiner Weise wird abgestritten, dass unter Gaddafi schwere Menschenrechtsverletzungen vonstatten gingen. Bestritten wird, dass es damals einen Völkermord oder gar einen Holocaust gab, wie von den Befürwortern der Militärintervention behauptet oder nahegelegt. Bestritten wird ebenfalls, dass die Menschenrechtsverletzungen unter Gaddafi damals schwerwiegender waren als die gleichzeitig stattfindenden Menschenrechtsverletzungen zahlreicher westlicher Verbündeter. Vor allem aber wird die Position vertreten, dass durch die Militärintervention die Menschenrechtsverletzungen nicht beendet, sondern eskaliert und ein gesamtes Land in den Abgrund gestürzt wurde. Verurteilt wird, dass die westliche Staatengemeinschaft auch rückwirkend keine Einsicht zeigt und für die Konsequenzen ihrer Handlungen nicht aufkommt, sondern statt auf Wiedergutmachung auf Abschottung setzt.
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Kommentar von don quijote |
Sehr richtig. Vielleicht erscheint den Bomberkraten in Paris und London ein Failed Srtate of Lybia als das kleinerer Übel als Ghadafi<ß