Inferno in Irak, Libyen und Syrien: Die Geister, die wir riefen, werden wir nicht mehr los
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Im Irak und in Syrien spielt sich derzeit ein Inferno ab. Die Verantwortung tragen die westlichen Staaten. Denn indem die westlichen Staaten auf die militärische Karte setzten, um missliebige und fraglos Menschenrechte verletzende Regime loszuwerden, ob in Irak, Libyen oder aktuell in Syrien, schufen sie den Aufstieg einer Radikalengruppe, die in ihrer Rücksichtslosigkeit und Brutalität alles übersteigt, was sogar Al Quaida jemals darstellte. Die direkten Täter der Massaker, die jetzt im Irak begangen werden, sind Mitglieder der Islamic State of Iraq and the Levant (ISIS), die eigentlichen Verursacher - dies ist die erschütternde Realität - sitzen in den Parlamenten und in den Regierungen der westlichen Demokratien.
Menschen werden zur Exekution geführt
Es begann mit dem Irakkrieg des US-Präsidenten George W. Bush und des damaligen britischen Premierministers Tony Blair. Offenbar vereint in fundamentalistischem christlichem Geist, haben beide bis heute nichts bereut. Fast mutet es an, als ob die Kreuzzügler-Propaganda der Al Quaida hier doch einen stimmigen Kern gehabt hat.
Es setzte sich fort mit extralegale Tötungen mit Exekutionen zahlreicher Zivilisten als Kollateralschäden, es war niemand anders als der „Yes, we can“-Präsident Barak Obama, der den Einsatz der Drohnen eskalierte. Das Motto war und ist: „Möglichst wenige Tote unter den eigenen Landsleuten und die Anzahl der zivilen Opfer verbal minimieren, indem per Definition jeder männliche Jugendliche im Einschlagsgebiet einer Drone zum feindlichen Kämpfer erklärt wird“. Der Hass, den eine solche Verbreitung von Terror und Schrecken erzeugt, er scheint für die Obama-Administration zweitrangig zu sein. Sie verkannte und verkennt, dass sie den Pool der Terroristen nicht trocken legt, sondern erweitert, weil mit jedem Getöteten neue Gegner entstehen.
Der nächste Eskalationspunkt hieß Libyen. Ein diktatorisch und mit Menschenrechtsverletzungen regiertes Land, in welchem die Bevölkerung sich gleichwohl mehr Wohlstand, medizinische Versorgung, Bildungschancen und Reisemöglichkeiten als in jedem anderen Land Afrikas erfreute, wurde mit NATO-Bombengewalt in ein anarchisches Inferno mit aktuell zwei Regierungen verwandelt. An jeder Straßenecke besteht für die Menschen seither die Gefahr, von der einen oder anderen Miliz verschleppt zu werden. Rassistische Verbrechen bis hin zum anhaltenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Tawergha sind weiterhin an der Tagesordnung. Folter und Mord grassieren in einem unter Gaddafi ungeahnten Ausmaß. Ein ganzes Land versinkt in Dunkelheit.
Derweil ist Libyen längst mit zum Zentrum des Waffenhandels für Al Quaida und andere bewaffnete islamische Fundamentalisten und Terroristen geworden, ob in Syrien und Irak, oder in Mali, Kenia, Somalia und Nigeria. Nicht gelernt aus Somalia, Afghanistan und Irak, beteiligten sich an der propagandistischen Vorbereitung und anhaltenden Legitimation des gewaltsamen Regime-Wechsels in Libyen nach irakischem Vorbild sogar vorher friedensbewegte links-alternative Kreise, in der Bundesrepublik Deutschland allen voran die Grünen, deren heutige Osteuropa-Beauftragte Marieluise Beck sich zu der zitatwürdigen Äußerung verstieg:
" Ich bin erleichtert, dass die Weltgemeinschaft aus der Geschichte von Ruanda und Srebrenica gelernt hat und ihre Schutzverantwortung im Falle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wahrnimmt. Selbst Länder wie Russland und China stellten sich dem nicht mehr entgegen. Damit folgen die Vereinten Nationen ihrem eigentlichen Gründungskonsens, nämlich der Schutzverantwortung für bedrohte Völker als Lehren des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. "
"Wo sie eine Verwüstung stiften, nennen sie es Frieden ", auf diese Tacitus-Äußerung wies ein Kommentator eines vorherigen Beitrages auf Menschenrechte.eu zu dieser Thematik hin. Wo sollte sie besser passen?
Ohne Innehalten ging es nach Libyen weiter in Richtung Syrien. Die jahrzehntelange Oligarchen-Diktatur des Assad-Clans sollte nun mit militärischen Mitteln beendet werden. Der Teil der syrischen Opposition, die für einen konsequent gewaltfreien Widerstand plädierten und plädieren – das National Coordination Committee for Democratic Change, NCC – wurden ausgebremst und marginalisiert. Über Saudi-Arabien, aber auch über die Türkei, wurde begonnen, der mit westlicher Unterstützung gebildeten bewaffneten Opposition Hilfe und Ausrüstung zukommen zu lassen. Verhandlungsspielräume wurden nicht ausgelotet und anstatt auf einen Kompromiss wurde auf die Forderung nach dem bedingungslosen und sofortigen Rücktritt der Assad-Regierung gesetzt und dieser die nachfolgende Strafverfolgung angedroht. Es ist nicht überraschend, dass diese sich zum militärischen Durchhalten entschied.
Massaker durch ISIS-Kämpfer im Irak
Wie zuvor in Libyen, konzentrierte sich die medial vermittelte Propaganda auf die einseitige Verurteilung der durch das Assad-Regime tatsächlich oder auch nur vermeintlich verübten Menschenrechtsverletzungen. Für diesen Krus ließen sich auch Menschenrechtsorganisationen, wie Human Rights Watch, gewinnen, die seither mithelfen, die Position der Kompromisslosigkeit gegenüber dem Assad-Regime in der Öffentlichkeit zu legitimieren. Eine solche Ideologie der Kompromisslosigkeit orientiert sich jedoch nur noch abstrakt an Menschenrechten, ist dafür aber tatsächlich bereit, das Leben konkret betroffener Menschen zu opfern.
Mit der Schwächung des Assad-Regimes auf der Habenseite stehen Hunderttausende Tote, Verletze, Gefolterte und Millionen Vertriebene auf der Verlustseite.
Ohne die Intervention des Westens wäre sein Blut nicht vergossen worden (Photo von hier)
Mittlerweile ist die Groteske entstanden, dass wir uns mit unseren ärgsten Gegnern, nämlich der Al Quaida in Syrien und dem Iran, gemeinsam in einem Boot wiederfinden. Die Kämpfer der ISIS waren in Syrien zunächst von der bewaffneten Opposition begrüßt worden, da sie furchtlos gegen die Assad-Truppen kämpften und Erfolge erringen konnten. Aufgeschreckt durch eine auch die Maße der Al Quaida überschreitenden Grausamkeit, kämpft aber jetzt die durch den Westen finanzierte Syrian Revolutionary Front (SRF) gemeinsam mit der offiziellen Repräsentantin der Al Quaida in Syrien, der al-Nusra-Front, gegen die ISIS (siehe hier).
Derweil hofft auch der Westen unausgesprochen längst nicht mehr auf eine echte Niederlage Assads. Denn in diesem Fall wären Pogrome ungeheuerlichen Ausmaßes gegen Schiiten, Alaviten und Christen wohl unausweichlich die Folge. Syrien würde sich vermutlich in Teilen oder im Ganzen gemeinsam mit irakischem Territorium sofort oder schrittweise in einen radikal islamistischen Staat verwandeln, dessen Brutalität, dies legen die aktuellen ISIS-Massaker im Irak nahe, rasch alles übertreffen würde, was die Bevölkerung bereits unter der jahrzehntelangen Herrschaft der Assads erleiden musste. Offenbar setzt der Westen nun, ähnlich wie früher im Iran-Irak-Krieg, auf den Sieg keiner Seite. Dies bedeutet aber andauernden Krieg und das Andauern von Tod, Elend und Not.
Der Westen hat den schwerwiegenden Fehler begangen, Möglichkeiten zu Kompromissen und graduellem Wandel abzublocken. Er hat diejenigen im Irak, Libyen und Syrien im Stich gelassen, die sich für eine Überwindung der Diktaturen mit Möglichkeiten eines friedlichen Wandels einsetzten. Stattdessen wurden Kräfte nach vorne gebracht, die keine Skrupel zeigten, selbst Blut zu vergießen. In ihrem brutalisierten Windschatten konnten sich die radikalsten der Radikalen ausbreiteten und an Macht, Einfluss, aber auch an Sympathien, in den nunmehr zerfallenden Staaten gewinnen. Gleichzeitig werden erste Berichte über Gräueltaten der schiitischen Gegner der ISIS im Irak bekannt - soeben scheint ein Gefängnismassaker verübt worden zu sein. Dieser Prozess der Eskalation dürfte sich weiter hochschaukeln und mit einer Zunahme schwerster Menschenrechtsverletzungen bis hin zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist zu rechnen.
Der Westen hat so die Völker des Irak, Libyens und Syriens ins Verderben geführt. Man kann es Fehler nennen, aber auffällig ist die Lernresistenz. Selbst in diesen Stunden des absoluten Terrors hält der Westen an seinem Kurs fest. Anstatt nun und sofort alle Anstrengungen zu unternehmen, um alle nicht radikal fundamentalistischen Kräfte in Syrien, in Libyen und im Irak an einen Verhandlungstisch zu bringen, werden Verhandlungen weiterhin abgelehnt und damit die Chance verspielt, das schon entstandene Inferno noch zu begrenzen. Derweil lassen wir die Menschen, die auf der Flucht sind, im Stich, lassen sie sogar im Meer ertrinken. "Wir können nicht alles Leid der Welt beheben", sagen diejenigen, die ihre Flucht überhaupt erst verursachten.
So erweisen sich die westlichen Staaten bar all ihrer Rhetorik nicht als Exporteure von Freiheit, Frieden und Menschlichkeit, sondern als Botschafter von Krieg, Elend, Vernichtung und Tod.
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Kommentar von Götz Schlimme |
Die Wahrheit kann Grausam sein.
Wenn sich der Westen und andere nicht ständig einmischen würden wahre es friedlicher auf dieser Welt. So würde ich mich nicht wundern wenn ISIS nicht Deutsche Waffen von Saudi-Arabien hätte.