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Human Rights Watch in Syrien: Gefährliche Kompromisslosigkeit?

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Um jedes Missverständnis zu vermeiden, vier Vorbemerkungen:

 

- Human Rights Watch setzt sich international für Menschenrechte ein, gegen Diktaturen, politische Verfolgung, Verschwindenlassen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dies ist ebenso löblich wie notwendig. Weltweit mangelt es an Motivation und Bereitschaft, Menschenrechte nicht nur zu deklamieren, sondern durchzusetzen. Hierauf weist Human Rights Watch immer wieder mit zu begrüßender Entschiedenheit hin.

 

-  In Syrien regiert ein Scherge eines Familienclans, der sich seit Jahrzehnten das syrische Volk zum Untertan gemacht hat, es seither wirtschaftlich ausplündert und ihm alle Rechte auf freie Meinungsäußerung nimmt. Politische Verfolgung, Verschleppungen, barbarische Folter, Tötungen und Massaker waren und sind im Syrien der Assads an der Tagesordnung.  

 

-  Gerade wegen seiner Skrupellosigkeit war es das Assad Regime, welches sich die USA als Kooperationspartner im Rahmen seines Rendition Programmes im sogenannten Krieg gegen den Terror aussuchte. Weil die Folter des Assad Regimes besonders fürchterlich ist, überließen US-Regierung und CIA den Schergen Assads die durch sie nach Syrien verschleppten Häftlinge. Ihre westlichen Verbündeten waren hierüber informiert. Human Rights Watch wandte sich gegen die menschenverachtende Praxis. 

 

-  Das Recht des syrischen Volkes auf ein Leben in Freiheit, Menschenwürde und Sicherheit ist unantastbar so wie die Würde eines jeden Menschen an jedem Ort der Erde unantastbar ist.  Dies ist die Universalität der Menschenrechte, die auch Human Rights Watch verteidigt. Aus diesen universal gültigen Menschenrechten ergibt sich auch das Recht des syrischen Volkes auf Widerstand gegen das Assad Regime. Das Recht des syrischen Volkes korrespondiert mit einer Pflicht anderer Staaten und all derjenigen, die für Menschenrechte, Freiheit und Demokratie eintreten, diesen Kampf des syrischen Volkes gegen seine Unterdrücker zu unterstützen. An der Seite des syrischen Volkes standen jene, die sich auch bei uns für nicht anerkannte Asylbewerber aus Syrien einsetzten und die sich zu einer Zeit für eine Unterstützung der politischen Gefangenen in Syrien und der politischen Opposition gegen Assad innerhalb und außerhalb Syriens stark machten, als dies bei den westlichen Regierungen und weitgehend auch in den westlichen Medien noch auf taube Ohren stieß. Zu diesen gehörte auch Human Rights Watch.

 

Notwendige Kritik

 

Trotz der vielen Verdienste von Human Rights Watch, trotz einer ähnlichen Sichtweise des Assad-Regimes und trotz der Zustimmung zu den Forderungen von Human Rights Watch, die Menschenrechte weltweit durchzusetzen, ist das Verhalten von Human Rights Watch gegenüber der Syrien-Krise einer fundamentalen Kritik zu unterziehen. Denn Human Rights Watch ist in Syrien- so lautet die Kritik – in einen gefährlichen Teufelskreis eingetreten, der die Menschenrechte nicht mehr schützt, sondern sie weiter gefährdet, der Menschenleben nicht rettet, sondern - ungewollt - weitere Tote erzeugt, der zwar dazu beitragen mag, Diktatoren zu stürzen, aber ebenso dazu beitragen kann, sie durch Schlimmeres zu ersetzen.

 

Das abschreckende Beispiel heißt Libyen und es hat begonnen, sich in Syrien zu wiederholen. Konsequenzen sind bereits jetzt Hunderttausende Tote, unzählige Verletzte und Millionen Vertriebene.

 

Zur Erinnerung:

 

In Libyen wurde eine Diktatur – angespornt durch  menschenrechtsbezogene Forderungen - mit gewaltsamen Mitteln gestürzt. Ersetzt wurde die Diktatur Muammar al-Gaddafis durch ein System der Anarchie und des Zusammenbruchs der Sicherheit für alle. Transformiert  wurde eine fraglos brutale, aber die Lebensvollzüge der großen Mehrheit der Bevölkerung dennoch gewährleistende Diktatur, in eine wahre Menschenrechtskatastrophe. Im Ergebnis ist für immer mehr Libyer ihr Leben zu einem täglichen Kampf ums Überleben geworden. Geschaffen wurde ein Zustand,  wo die Erinnerung an einen sicheren Alltag,  an Selbstverständlichkeiten, wie einen sicheren Marktbesuch, eine wehmütige Erinnerung an ein Leben erzeugt, welches rückwirkend - im Vergleich zu dem, was danach entstand - fast wie ein verlorenes Paradies erscheint.

 

Soeben hat Lotte Leicht, Direktorin von Human Rights Watch, der Taz ein Interview über den nach ihrer Ansicht nach richtigen Umgang mit dem Assad Regime gegeben. In diesem Interview plädiert sie gegen Verhandlungen mit Assad, die sie für sinnlos hält. Sie wirft der EU vor, zu lange die Einschaltung des Internationalen Strafgerichtshof (ICC) bezüglich der Kriegsverbrechen behindert zu haben.

 

Lotte Leicht argumentiert, die mutmaßlich Verantwortlichen für Kriegsverbrechen müssten marginalisiert werden. Sie seien die Falschen, um einen anhaltenden Frieden auszuhandeln. Fakt sei, dass Assad eine ausschließlich militärische Lösung in Syrien verfolge. Selbst während der Verhandlungen habe er die Zivilbevölkerung unerbittlich bombardieren lassen.

 

Es sei zwar keine Lösung, in einer sehr fragilen Situation noch mehr Waffen zu liefern, erforderlich seien aber differenzierte Waffenembargos, die auf die für Kriegsverbrechen Verantwortlichen zielten. Hiermit meine sie nicht nur Assad, sondern auch Waffenlieferungen aus den Golfstaaten an Extremisten, wobei Lotte Leicht aber mit dem Begriff des differenzierten Waffenembargos offenbar die Tür für Waffenlieferungen an andere Gruppen, die nicht als Extremisten bezeichnet werden, offen lassen möchte. Mindestens entsteht hier ein Interpretationsspielraum, der sich in einer menschenrechtsbezogenen Argumentation für Waffenlieferungen an die Opposition nutzen ließe und auch bereits von denjenigen, die Waffenlieferungen fordern, genutzt wird.

 

Bezüglich weiterer sich in Syrien anbahnender humanitärer Katastrophen solle laut Lotte Leicht der Sicherheitsrat klarmachen, dass sich die Zeiten geändert hätten und der Preis für die humanitäre Blockade ab jetzt steige. Solange hier nichts passiere, bleibt es für die Kriegsparteien sehr effektiv, möglichst viele Zivilisten umzubringen.

 

Die Argumentation von Lotte Leicht ist nachvollziehbar, die von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen dürften im Ergebnis aber eher zu mehr als zu weniger Toten führen:

 

-  Differenzierte Waffenembargos sind nicht umsetzbar, weil  Waffen auch weiterverkauft oder erbeutet werden können, zumal in Syrien in den letzten Monaten Feindschaften und Bündnisse zwischen Gruppen schnell wechselten. Werden Waffen an die Opposition geliefert, würde ein Teil von diesen mit Sicherheit bei den islamistischen Terroristen landen, die aktuell in Syrien Menschen kreuzigen und in großer Zahl massakrieren lassen.

 

-  Angedrohte Maßnahmen des Sicherheitsrates führten in Libyen zur jetzigen Situation. Im Windschatten einer Flugverbotszone und einer sich gegen Gaddafi verschärfenden Rhetorik wurde ein gewaltsamer Regime-Wechsel durchgesetzt, der dem libyschen Volk keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung seiner Lebenssituation brachte. In Kauf genommen wurden dabei sogar bis heute nicht revidierte und ungesühnte Verbrechen, wie die Leerung einer ganzen Stadt, der Stadt Tawergha, von ihren schwarzen Bewohnern, vom letzten Säugling bis zum letzten Greis. Human Rights Watch spricht hier selbst berechtigt von einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es ist nicht ersichtlich, warum schärfere Resolutionen des Sicherheitsrates in Syrien zu besseren Resultaten führen sollten.

 

-  Der Internationale Strafgerichtshof hat bisher bei keinem Konflikt eine Deeskalation bewirken können. Vielmehr hatte sich dieser Gerichtshof auch bereits der Situation in Libyen angenommen und beschränkt seither, trotz andauernder schwerster Menschenrechtsverletzungen, seine Tätigkeit in grotesker Einseitigkeit ausschließlich auf Vertreter des Gaddafi-Regimes. Nicht einmal das Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Tawergha ist diesem Gerichtshof eine ernsthafte Ermittlung geschweige denn ein Verfahren wert. Wer aber Menschenrechtsverletzungen nur einer Seite verfolgen will, die einer anderen Seite aber duldet, trägt nicht zur Verankerung von Menschenrechten, sondern zur Instrumentalisierung der Justiz bei. Es ist nicht erkennbar und wird auch durch Human Rights Watch nicht dargelegt, wie eine Intervention des Internationalen Strafgerichtshofes die weiterhin eskalierenden Menschenrechtsverletzungen in Syrien stoppen könnte. Es entsteht der Eindruck, dass es Human Rights Watch weniger um die sofortige Beendigung der schweren Menschenrechtsverletzungen in Syrien als um die Zeit danach geht. Aus menschenrechtsbezogener Sichtweise ist es aber inakzeptabel, wenn eine Beendigung von Menschenrechtsverletzungen in der Gegenwart sekundär wird, um sich stattdessen mit der Verfolgung der Täter in der Zukunft zu beschäftigen. 

 

-  Die Forderung von Lotte Leicht, nicht mit Assad zu verhandeln, ist dem Überleben der aktuell von Tod, Vernichtung, Flucht und Elend betroffenen oder bedrohten Menschen in Syrien nicht zuträglich. Ähnlich wie vor der militärischen Eskalation in Libyen war das Assad Regime nach den ersten Demonstrationen, gegen die es mit Waffengewalt vorging, geschwächt und signalisierte Verhandlungsbereitschaft. Wie in Libyen wurde jedoch eine Auslotung von Verhandlungsspielräumen verweigert. Zwar bekannten sich Teile der bereits lange zum Assad-Regime in Gegnerschaft stehenden Opposition zu Verhandlungen für eine friedfertige Lösung - gemeint ist die Volksfront für Wandel und Freiheit (National Coordination Committee for Democratic Change, NCC) -  die Kräfte, die auf friedlichen Widerstand und eine Kompromisslösung am Verhandlungstisch setzten, wurden jedoch auch durch die Repräsentanten der westlichen Staaten, marginalisiert und ausgegrenzt. Dabei wurden bereits früher viele Mitglieder des NCC durch das syrische Regime verfolgt, was sie nicht daran hindert, bereits vor Beginn der aktuellen Krise für einen konsequenten und  friedfertigen Widerstand gegen das Assad-Regime zu plädieren.  Gleichfalls wendet sich das NCC gegen die Spaltung der Gesellschaft aufgrund ethnischen und religiösen Hasses, wobei es selbst ein Bündnis aus Sunniten, Aleviten und Kurden vereint. Gemeinsam ist ihnen das Streben nach Demokratie und Freiheit, was nur über einen Sturz des Assad-Regimes möglich sein wird, sowie aber auch die Ablehnung der Logik der militärischen Eskalation, unter deren Nutzung interne und externe Kräfte ihre Interessen rücksichtslos auf dem Rücken des syrischen Volkes versuchen durchzusetzen.  

 

-  Anstatt mit der demokratischen und friedfertigen Opposition zusammen zu arbeiten und diese zu unterstützen, begannen die westlichen Staaten und allen voran die USA sofort  – unwidersprochen durch Menschenrechtsorganisationen, wie Human Rights Watch – den Teil der Opposition auszugrenzen, der für friedlichen Widerstand plädierte, und den Teil zu unterstützen, der zu den Waffen greifen wollte. Diese Ausgrenzung besteht fort und wird durch Human Rights Watch nicht kritisiert. Stattdessen wurde von Anfang an und unterstützt durch Human Rights Watch die ultimative Forderung nach dem sofortigen Rücktritt von Assad gestellt, wobei sich hierzu bald die Forderung nach dessen nachfolgender strafrechtlichen Verfolgung gesellte. Entsprechend wurde die Chance zur Nutzung von Verhandlungsspielräumen vertan und das Assad-Regime in eine Lage gebracht, wo es nur noch zwischen einer kompletten Kapitulation mit dem dann erfolgenden auch eigenen persönlichen Untergang oder einer Eskalation des militärischen Vorgehens gegen die Opposition wählen konnte.

 

-  Infolge einer durch Human Rights Watch unterstützten Politik, die ernsthafte und unvoreingenommene Verhandlungen mit allen Beteiligten ablehnte, ist es mittlerweile zu einer militärischen Eskalation mit Hunderttausenden von Toten und Millionen von Vertriebenen gekommen. Mit dem bewaffneten Widerstand kam eine allseitig zu beobachtenden Zunahme von Brutalität und Barbarei auf, die seither den syrischen Alltag prägt und droht, in weitere Länder exportiert zu werden. In Anbetracht des Ausmaßes an resultierendem Leid ist es bitter, aber doch notwendig, die Sachlage darzustellen, dass selbst eine noch jahrelange Fortsetzung des Assad-Regimes dieser militärischen Eskalation vorzuziehen gewesen wäre, zumal die Auseinandersetzungen längst zum Religionskrieg geworden sind, bereits Pogrome durchgeführt wurden und weitere Pogrome drohen.

 

Mangelnde Reflektion der Konsequenzen des eigenen Handelns

 

Aus dem Interview mit Lotte Leicht wird erkennbar, dass Human Rights Watch sich diesen Problematiken nicht stellt, die Folge der vorgeschlagenen Maßnahmen ausblendet und damit in seinem Menschenrechtsbezug gegenüber dem konkreten Leid der Menschen abgehoben und abstrakt argumentiert. Vorgeschlagen wird eine Politik die auch die letzten Aussichten verspielen würde, über Verhandlungen zu einem Ende des Blutbades zu gelangen. Dies war auch der Fehler bisheriger „Verhandlungen“, die in Wirklichkeit diesen Namen nicht verdienten, weil es wechselseitig lediglich um die Darstellung und das Beharren auf unvereinbaren Positionen ging, bei denen das Interesse des syrischen Volkes an einem Ende seines Märthyrium zu kurz kam.

 

Der  nachvollziehbare Wunsch nach einem Ende des Assad-Regimes und der strafrechtlichen Aufarbeitung der Verbrechen führt bei Human Rights Watch zu einer strategischen Positionierung für eine militärische Lösung, die das Problem verschärft. Denn sie trug zu der bereits stattfindenden Menschenrechtskatastrophe in Syrien bei und ist dazu geeignet, auch ihre weitere Aufrechterhaltung und Verschärfung zu fördern. Für eine in Wirklichkeit abstrakt bleibende Idee der konsequenten Durchsetzung der Menschenrechte nimmt die Position von Human Rights Watch eine tatsächliche Eskalation von Menschenrechtsverletzungen in Kauf. Human Rights Watch steht damit in letzter Konsequenz nicht an der Seite der betroffenen Menschen, sondern postuliert eine Ideologie der Nicht-Verhandelbarkeit, die objektiv gegen die konkreten Lebensinteressen der Menschen gerichtet ist. Aus der sicheren Distanz, in der sich Human Rights Watch vom Geschehen befindet, werden die Not der betroffenen Menschen und ihr Schrei nach dem Ende ihres Leides ausgeblendet.

 

Es ist tragisch, dass die Menschen in Syrien heute nicht nur durch die Schergen Assads und mit äußerster Grausamkeit operierende Terroristen gefährdet werden, sondern dass ihre Bedrohung letztlich auch von einer Menschenrechtsorganisation, wie Human Rights Watch, ausgeht, die nach dem Motto „alles oder nichts“ Lobbyarbeit gegen Verhandlungen mit dem Assad-Regime leistet, obwohl nur direkte und echte Verhandlungen ohne Vorbedingungen zwischen allen maßgeblich Beteiligten, dem Leiden des syrischen Volkes ein Ende bereiten könnten. Wenn gesichtswahrende Auswege für alle Beteiligten aufgezeigt werden würden, wären solche Verhandlungen keineswegs von vornherein aussichtslos. Bisher jedoch hat es sie, auch aufgrund des Engagement von Human Rights Watch, nicht gegeben.

 

Human Rights Watch scheint keine Verhandlungslösung, sondern eine libysche Lösung für Syrien vorzuschweben. Dabei wird aber verkannt, dass eine solche Lösung vielem dienen mag, aber sicherlich nicht dem Interesse des syrischen Volkes auf ein menschenwürdiges Leben.

 

Gefahr für die Menschenrechte

 

Das Verhalten von Human Rights Watch gegenüber dem syrischen Konflikt weist über die Landesgrenzen hinaus. Wenn Menschenrechtsorganisationen Lobbyarbeit für eine Politik der militärischen Eskalation im Umgang mit innerstaatlichen Konflikten leisten, dann droht eine Situation einzutreten, wo Menschenrechtsorganisationen de facto nicht mehr die Menschenrechte schützen, sondern sie gefährden. In der Politik von Human Rights Watch gegenüber dem syrischen Konflikt ist diese Gefahr bereits zur Realität geworden. 

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