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Ohrfeige für den Türkei-Deal: In Griechenland gewinnt syrischer Flüchtling Berufung gegen Deportation

(Kommentare: 1)

In Griechenland hat ein Berufungskommittee mit zwei gegen eine Stimme zugunsten eines syrischen Flüchtlings entschieden, der sich gegen seine anstehende Deportation in die Türkei zur Wehr setzte. Die Berufungsinstanz stellte fest, dass in der Türkei der Schutz syrischer Flüchtlinge gemäß der Genfer Konvention nicht gewährleistet sei und gewährte dem Flüchtling daher Schutz vor Abschiebung.

 

Inhaltlich und juristisch ist die Entscheiodung folgerichtig:

 

Dass in der Türkei Flüchtlingen kein ausreichender Schutz gewährt wird, steht außer Frage. Im Gegenteil, macht sich die Türkei schwerer Vergehen gegen Flüchtlinge schuldig, indem sie massenhaft Menschen direkt in Kriegsregionen zurückschickt und teilweise sogar islamischen Milizen übergibt (siehe Amnesty International Bericht hier, sowie Artikel auf Menschenrechte.eu hier). Zudem hat die Türkei ihre Grenze zu Syrien geschlossen und lässt nun sogar verzweifelte Flüchtlinge, die vor Krieg, Terror und Vernichtung fliehen, erschießen, unter ihnen auch Kinder.

 

Trotzdem ist die Entscheidung überraschend:

 

In einem Klima der politisch gewollten Abschottung Europas gegenüber Krieg, Vertreibung und Flucht haben es zwei Menschen gewagt, der Faktenlage, der Wahrheit und der Menschlichkeit Geltung zu verschaffen. Zugedacht war ihnen die Rolle ergebener Abnicker von Deportationsentscheidungen. Die Berufungskommittees sollten der Massendeportation von Flüchtlingen den Anschein von Rechtsstaatlichkeit geben, Sand im Getriebe des „Merkel-Deals“ sollten sie gewiss nicht sein.

 

Stattdessen haben aber nun zwei Kommitteemitglieder Mut zur Rechtsstaatlichkeit gezeigt und eine Entscheidung gefällt, die – würde sie Bestand halten – einen bedeutsamen Anteil der europäischen Abschottungspolitik verunmöglichen könnte.

 

Der Deal der europäischen Union mit der Türkei ist in Wirklichkeit ein konzertierter Angriff auf die Rechte von Flüchtlingen. Die europäische Union möchte sich selbst die Hände nicht schmutzig machen, hat aber de facto den türkischen Staatspräsidenten Erdogan zu ihrem Bluthund gemacht. Deshalb hat sie auch mit nur minimalem verbalem  Protest die eskalierende Erosion von Menschenrechten in der Türkei bis hin zur Kriegsführung gegen die eigene Bevölkerung in Kauf genommen. Um die Abschottung gegen Flüchtlinge nicht zu gefährden, hat Angela Merkel, die maßgebliche Architektin des Deals, innerhalb Deutschlands der Strafverfolgung von Böhmermann wegen dessen Satire gegen Erdogan stattgegegen.

 

Mit dem „Türkei-Deal“ ist Europa ein Europa der Menschenhändler geworden, welches international bereits zum Modell für einen anti-humanitären Umgang mit Flüchtlingen geworden ist. So hat Kenia vor Kurzem unter expliziter Berufung auf die Abschottungspolitik Europas die Schließung seines größten Flüchtlingslagers mit hunderttausenden Menschen aus Somalia angekündigt.

 

Enormer Druck

 

In einem Klima der staatlich gewollten Erosion von Menschenrechten im Umgang mit Flüchtlingen  haben es zwei Menschen in Griechenland gewagt, sich ihrer zugedachten Rolle als Abnicker zu entziehen und dem Unrecht Recht entgegenzusetzen. Hiefür verdienen sie unserer aller Anerkennung. Sie stehen für ein anderes Europa, welches nicht den rassistischen Rattenfängern hinterherläuft, sondern auf der Einhaltung von Menschenrechten besteht und dabei bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.

 

Es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidung Bestand haben wird. Weil mit ihr der menschenverachtende „Merkel-Deal“ zur Massendeportation von Flüchtlingen in eine unsichere und bedrohte Zukunft steht und fällt, ist der politische Druck zur Revision enorm.

 

Entstanden ist der Druck im Übrigen, weil sich europaweit Regierungen durch femdenfeindliche Straßenbewegungen und Parlamentssiege rechtsradikal-xenophober Parteien zur Abschottung  antreiben ließen, anstatt das Gesicht eines aufgeklärt und menschlich handelnden Europas zu zeigen und zu verteidigen, welches gewillt und in der Lage ist, den Flüchtlingen Schutz vor Verfolgung und eine neue Heimat zu bieten -  bis sie, wie es die übergroße Mehrheit es wünscht,  in ihre jetzt in Schutt und Asche liegende Heimat zurückkehren können.

 

Das griechische Berufungskommittee hat eine juristisch eindeutige  und gleichzeitig bewundernswerte Entscheidung getroffen. Diese gilt es nun, als Ausdruck von Rechtsstaatlichkeit und Humanität zu verteidigen und gleichzeitig auf andere Flüchtlingsgruppen auszudehen. Europa hat nämlich ein Apartheit-System der Flüchtlinge geschaffen, bei dem den syrischen Flüchtlingen noch gewisse Rechte zustehen, während die irakischen und afghanischen Flüchtlinge noch rücksichtsloser den türkischen Behörden und im Anschluss den verheerenden Bedingungen in ihren Heimatländern ausgeliefert werden sollen. Ihr Tod wird in Kauf genommen. Wenn es das gleiche Kommittee wagen würde, auch in dieses antihumane Getriebe den Sand der Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu werfen, würde es nicht nur das Leben von Menschen retten, sondern ganz Europa!

 

Verfasser: Guido F. Gebauer

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Kommentar von Stefan Krusche |

Hallo,

Bravo für den großartigen Kommentar von Guido F. Gebauer. Er spricht mir geradezu aus dem Herzen.
Nachdem ich ab dem 5. September 2015 langsam begonnen habe, Angela Merkel mehr und mehr sympathisch zu finden, bin ich von ihrer jetzigen "Rolle rückwärts" überhaupt nicht begeistert. Damit wird sie ihre letzten Sympathisanten verlieren, da niemand ahnen kann, wohin sie wirklich steuert. Ich sehe zwar durchaus, dass sie von Europas Staatenlenkern alleine gelassen wird, das ist aber noch lange kein Grund, sich so unkritisch mit einem Diktator vom Schlage Erdogans einzulassen.
Ich vermute jetzt sehr, dass wir im Herbst 2017 einen neuen Bundeskanzler/-in haben werden, wenn sich nicht noch etwas Sensationelles ändert.

Bitte berichten Sie über so wesentliche Details wie das Urteil des griechischen Berufungsgerichts weiter so aktuell wie bisher.

Freundliche Grüße
Stefan Krusche