Giftgaseinsatz in Syrien: War es der islamische Staat (ISIS)
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War von Anfang an nicht das Assad-Regime, sondern der entstehende islamische Staat (ISIS) für die Giftgasangriffe in Syrien verantwortlich? Haben die westlichen Staaten durch die Unterstützung des bewaffneten Kampfes letztlich ungewollt den ISIS in Syrien an die Macht gebracht? Wie könnte der Weg zum Frieden in Syrien aussehen?
Der syrischen Regierung wurde durch die bewaffnete Opposition und auch die US-Administration mehrfach vorgeworfen, Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt zu haben. Von Anfang an muteten diese Vorwürfe insofern merkwürdig an, als dass die syrische Regierung durch solch einen Einsatz nicht hätte militärisch ernsthaft profitieren können, aber einen Angriff der USA und den eigenen Sturz riskiert hätte. Schließlich hatte Barak Obama zuvor öffentlich kundgetan, dass ein Giftgaseinsatz der syrischen Regierung die rote Linie überschreiten würde.
Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt (ZEFAW) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, ging bereits als die Vorwürfe aufkamen davon aus, dass der Einsatz von Giftgas nicht durch das Regime, sondern durch die bewaffnete Opposition verschuldet wurde. Denn das syrische Regime, welches damals die militärische Oberhand zu gewinnen schien, hätte nach seiner Einschätzung nicht das geringste interesse daran haben können, Giftgas einzusetzen (siehe für Quelle →vorherigen Artikel auf menschenrecht.eu hier).
Ebenfalls gab Carla Del Ponte, Mitglied der UN Kommission zur Untersuchung möglicher Giftgaseinsätze in Syrien, damals öffentlich bekannt, dass ein konkreter Verdacht bestehe, dass in Syrien Sarin-Gas durch die syrischen Rebellen eingesetzt worden sei (siehe für Quelle →vorherigen Artikel auf menschenrecht.eu hier). Auch wenn Carla Del Ponte seither →beharrlich schweigt, bleibt es bemerkenswert, dass ein prominentes Mitglied der UN-Untersuchungskomission diesen Verdacht zu einer Zeit aussprach,in der US-Regierung, die bewaffnete syrische Opposition und auch die westlichen Medien mehrheitlich einen Einsatz von Giftgas durch die syrische Regierung propagierten. Auch im Anschluss an die öffentlichen Mitteilungen von Carla Del Ponte unternahmen die westlichen Staaten keinen Versuch, jedenfalls keinen öffentlichen, die Verantwortlichkeiten für Giftgaseinsätze objektiv und unabhängig zu klären. Nach wie vor bleibt die Thematik weitgehend ausgeblendet. Der →Umgang der westlichen Staaten mit einem möglichen Giftgaseinsatz durch die syrische Opposition besteht im Schweigen.
Kurz nach den damaligen Vorwürfen erschien plötzlich der islamische Staat (ISIS, IS) scheinbar wie aus dem Nichts auf der Bildfläche. Seither beherrscht er ein Drittel Syriens und des Irak und hat bereits nach Libyen übergriffen. Jetzt erheben Kurden gegen ISIS den Vorwurf, →Giftgas, in diesem Fall Chloringas, eingesetzt zu haben. Mitgeteilt wird weiterhin, dass der islamische Staat bereits seit Langem verdächtigt werde, Giftgas einzusetzen. Zudem sei vor Kurzem ein Giftgas-Experte des islamischen Staates bei einem Luftangriff der USA getötet worden. Dieser Experte namens Abu Malik habe bereits unter Saddam Hussein gedient und habe schließlich 2005 sein Wissen über Giftgas der damaligen Al Qaida des Irak zur Verfügung gestellt, aus der sich der heutige ISIS (IS) entwickelte.
Damit wird die Möglichkeit sichtbar, dass es bereits damals auch in Syrien der bereits dort entstehende islamische Staat (ISIS) gewesen sein könnte, der Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einsetzte, um die Verantwortung dem gehassten Assad-Regime in die Schuhe zu schieben.
Es soll nicht bestritten werden, dass das Assad-Regime durchaus die Skrupellosigkeit besessen haben könnte, Giftgas einzusetzen. Nur wäre ein strategischer Voreil hierdurch nicht ersichtlich gewesen und das Regime hätte stattdessen seinen militärischen Sturz durch die USA riskiert. Entsprechend rasch erklärte es sich auch zur vollständigen Vernichtung seiner Giftgasvorräte unter Kontrolle durch die UN bereit.
Demgegenüber unterliegt der ISIS keinerlei Kontrolle. Während die offiziell durch den Westen unterstützte und in der Türkei residierende Exilregierung in →wahnwitziger Verkennung den ISIS für weniger gefährlich hält als das Assad-Regime, wurden in Wirklichkeit durch ihren Weg des bewaffneten Kampfes Millionen Menschen in Syrien in Elend und Tod getrieben. Opfer dieser verfehlten Politik sind, dies zeigt ein →neuerlicher UN-Bericht in erschütternder Deutlichkeit, die Menschen in Syrien, unter ihnen Millionen Kinder.
Derweil zeigen die westlichen Staaten jedenfalls derzeit noch nur einen begrenzten Willen zur Umkehr und finanzieren weiterhin eine bewaffnete Opposition, die zeitweilig nach →eigenen Angaben mit der offiziellen Repräsentantin der Al Qaida in Syrien, der al-Nusra Front, zusammenarbeitete. Es handelt sich um eine Opposition, die die Gefahr durch den ISIS systematisch unterschätzt und die keinerlei Kompromissbereitschaft zeigt im Sinne eines erforderlichen zeitweiligen Arrangements mit dem Assad-Regime, um dem syrischen Volk weiteres Leid zu ersparen.
Marginalisiert bleibt die im →National Coordination Committee for Democratic Change (NCC) zusammengeschlossene Oppositionsbewegung, die ihre entschiedene Gegnerschaft zum Assad-Regime von Anfang an mit einer ebenso entschiedenen Gegnerschaft zu einem bewaffneten Kampf verband, der schlussendlich die ISIS in weiten Teilen Syriens und Iraks an die Macht und nichts als Verheerungen über die Menschen in Syrien brachte.
Der Weg der Vernunft und der Menschlichkeit kann nur in einer Kooperation und einer weltweiten Unterstützung des NCC bestehen, um Kompromisse möglich zu machen und so dem syrischen Volk die Chance zu geben, sich von den über es gebrachten Verheerungen zu erholen und die Menschenrechtsverletzungen des Assad-Regimes sowie die noch schlimmeren Menschenrechtsverletzungen durch den ISIS hinter sich zu lassen.
Es war und ist der entscheidende Fehler der westlichen Staaten gewesen, dass sie sich nicht an die Seite des NCC, sondern auf die Seite des bewaffneten Kampfes stellten, der in der Heimsuchung der Völker Syriens, Iraks und auch Libyens durch den islamischen Staat (ISIS) resultierte. Diesen Fehler begingen die westlichen Staaten unmittelbar nachdem bereits eine ähnliche Politik gegenüber Libyen scheiterte und das Land nicht nur vom Regen in die Traufe, sondern in eine →Katastrophe stürzte.
Aber nicht nur die westlichen Staaten, sondern auch eigentlich wohlmeinende Menschenrechtsorganisationen, wie Human Rights Watch (HRW), müssen sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, eine →Politik der Kompromisslosigkeit gegenüber dem Assad-Regime postuliert zu haben, deren Folgen die Menschen in Syrien zu tragen haben - abseits beheizter Konferenzräume und in durch Krieg zerstörten Städten und Dörfern.
Die einzige Hoffnung der überwältigenden Mehrheit der Menschen in Syrien, deren Ziel es ist, in Frieden und menschenwürdig leben zu können, ist die Beendigung des fehlgeschlagenen bewaffneten Kampfes gegen das Assad-Regime und die Vereinbarung einer Übergangslösung, die allen Seiten - bis auf dem ISIS - eine Gesichtsbewahrung und ein Überleben ermöglicht. Dies mag eine bittere Pille für diejenigen sein, die mit Recht empört sind über die Menschenrechtsverletzungen des Assad-Regimes. Für die Menschen in Syrien könnte dieser Weg aber ihre Rettung bedeuten.
Das Plädoyer für eine Kompromisslösung mit dem Assad-Regime und für die Beendigung des bewaffneten Kampfes gegen das Assad-Regime ist nicht gleichzusetzen mit einer Parteinahme für den Assad-Clan, der seit Jahrzehnten Syrien wie seinen Privatbesitz behandelt und für zahlreiche und schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist. Es geht vielmehr darum, nicht in eine ideologische Verblendung zu verfallen, die den konkreten Menschen ausblendet, sondern den Mut aufzubringen, ein Realitätsbewusstsein zu entwickeln, welches im Ergebnis das Leben von Menschen bewahren und die Menschenrechtssituation in Syrien schrittweise verbessern könnte. Hätte dieses Realitätsbewusstsein von Anfang an bestanden, wäre dem syrischen Volk wahrscheinlich die Katastrophe des ISIS erspart geblieben und Giftgasangriffe hätte es womöglich nie gegeben.
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