Neues Theater-Stück: Die spielenden Empörten
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„Empört euch“, so heißt der Titel eines aufrüttelnden französischen Werkes. Eine Zeitlang schien die Saat aufzugehen. Überall traten sie auf, die Empörten. Doch die Bewegung verebbte bald. Denn die, gegen die sich die Empörung richteten, saßen sie einfach aus und setzten ihr Tun fort.
Doch jetzt empören sich plötzlich diejenigen, gegen die sich eigentlich die Empörung richtete:
Bundeskanzlerin Merkel, Bundesinnenminister Friedrichs, die gesamte CDU/CSU und mit ihr die SPD in der Bundesrepublik Deutschland, ihre Schwester- und Bruderparteien in ganz Europa, selbst die Wirtschaftsverbände sind empört, sogar Geheimdienstleute. Vermutlich wird sich demnächst auch Bundespräsident Gauck noch lauter empören. Früher war er ein Verfolgter eines Überwachungsstaates. Später verweigerte er dem mutigen Opfer eines anderen Überwachungsstaates, Eduard Snowden, jedwede Hilfe.
Aber nun scheint die Zeit zu kommen, wo auch Gauck sich empören wird. Denn es empören sich alle, von der Politik bis zu den Medien, von rechts bis links. Es herrscht offizielle Empörung in der Bundesrepublik Deutschland und in ganz Europa.
Nur die USA scheinen den plötzlichen Grund für die Empörung nicht zu verstehen. Warnte nicht einstmals die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright ihren bundesrepublikanischen Kollegen Fischer vor allzu offenherzigen Handytelefonaten? Wussten wir es nicht bereits lange, dass wir im Überwachungsvisier unserer US-amerikanischen Freunde liegen? Lebten wir nicht lieber bequem unter dem Mantel des Schweigens als im scharfen Licht der Wahrheit?
Diese Frage dürfte sich auch vor Kurzem noch die Bundesregierung gestellt und für sich beantwortet haben. Warum sonst ließ sie den Skandal über die Massenüberwachung der Bevölkerung bereits im Vorfeld für beendet erklären?
Wenn aber das, über welches wir uns jetzt empören, bereits bekannt war, über was empören wir uns eigentlich? Jedenfalls offenbar nicht darüber, dass nach wie vor alle gleich, aber einige gleicher sind. Im Gegenteil; während die Empörung sich bereits legte, als immer detaillierter beschrieben wurde, wie die USA und Großbritannien quasi die gesamte Kommunikation aller Bürger und Bürgerinnen überwachsen, erhob sich das Haupt der allgemeine Empörung erst jetzt, als ebenfalls klar wurde, dass diese Überwachung alle Bürger und Bürgerinnen, also auch Angela Merkel, betrifft.
Erinnerte sich denn zuvor wirklich niemand an den Hinweis von Madeleine Albright an Joschka Fischer?
Dass sich niemand vom politischen Establishment erinnerte, dass Frau Merkel es komplett vergaß, dass Joschka Fischer selbst nicht darauf kam, es erscheint unglaubhaft. Sicherlich vergisst das menschliche Gedächtnis einiges, aber noch lieber als tatsächlich vergessen, drängen wir Dinge aktiv zurück, jedenfalls dann, wenn sie unangenehm für uns sind.
Wenn aber die Inhalte die jetzigen Empörten nicht empören, was empört die Empörten? Gar nichts? Spielen sie vieleicht nur ein Empörungs-Theater, weil das Unwissenheits-Theater seinen Reiz verloren hat? So wie einstmals Angela Merkel selbst ein Fußball-Begeisterungs-Theater aufführte, wie sie noch vor Kurzem gemeinsam Betroffenheit spielten beim durch sie selbst verschuldeten Tod unzähliger Flüchtlinge, wie sie alle tagtäglich Theater spielen, ob in den Talk-Shows oder im Parlament?
Oder ist die Empörung doch echt, nur mit vertauschtem Objekt? Ist das Ende vom Lied, dass die jetzt Empören sich tatsächlich empören, nur eben nicht - wie im Theaterstück vorgesehen - über Barak Obama, die NSA oder die Regierung Großbritanniens, sondern über Eduard Snowden, der ihnen all diese harten Proben eingebrockt hat? Könnte dies erklären, warum so unbarmherzig mit diesem jungen Mann umgegangen wird, obwohl er doch nach allen Werten, die wir sonst vertreten, ein Held ist? Wer uns die Antwort geben könnte? Sicherlich die Lauscher vom NSA und ihre Auftraggeber, aber diese ziehen es vor, zu schweigen.
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Kommentar von Sabrina Ida Steiner |
Wo bleibt die Empörung? Und wo das Handeln?