Ein soeben bekannt gewordenes Dokument des Pentagon vom August 2012 zeigt, dass der US-Regierung das Entstehen eines islamischen Staates in Irak und Syrien, der weltweit dschihadistische Kämpfer anziehen könnte, als eine mögliche Konsequenz des Bürgerkrieges erwartete. Ebenfalls ergibt sich aus dem Dokument, dass der US-Regierung seit langem bekannt war, dass der Aufstand in Syrien vorwiegend von dschihadistischen Kräften getragen wird. Dieses Dokument verweist auf wohl einen der größten Skandale in der Geschichte der US-Außenpolitik. Das Interesse an einem gewaltsamen Sturz Assads wurde von der US-Regierung höher bewertet als die Prävention einer explosionsartigen Machtzunahme radikalster islamistischer Fundamentalisten, einschließlich der bestehenden Gefahr eines durch sie verübten Völkermordes. Gegenüber der Öffentlichkeit verschwieg die US-Regierung aber dieses Szenario, so dass allgemein Überraschung herrschte, als der Islamic State of Iraq and the Levant (ISIL) im April 2013 öffentlich in Erscheinung trat. Als Resümee ergibt sich, dass die USA den islamischen Staat nicht wollten, ihn aber in Kauf nahmen und damit maßgebliche Mitverantwortung für die aktuelle Menschenrechtskatastrophe in Syrien und im Irak tragen. Gleichzeitig zeigen die Ereignisse im Jemen, dass ein Umdenken der US-Politik nicht stattgefunden hat.
Soeben wurden erneut 600 Flüchtlinge in Tripoli inhaftiert, wobei Tripoli unter der Kontrolle einer islamistischen Miliz steht. Westeuropa schweigt zu den sich seit einigen Wochen häufenden Inhaftierungen. Nach einem Bericht von Amnesty International müssen in Libyen inhaftierte Flüchtlinge mit Misshandlung, Folter, Nahrungsmittelentzug, mangelnder medizinischer Versorgung und sexuellen Übergriffen rechnen. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die Staaten Westeuropas ihr Flüchtlingsproblem mithilfe von Strukturen des zerfallenen libyschen Staates lösen wollen. Damit würden sie aber den Menschenhandel nicht bekämpfen, sondern einen besonders perfiden Menschenhandel fördern, bei dem Schlepper doppelt abkassieren. Außerdem gibt Westeuropa Milizen und Islamisten Legitimität, wenn es mit ihnen stillschweigend zusammenarbeitet. Der zeitliche Zusammenhang zwischen den neuen Masseninhaftierungen in Libyen und den Beschlüssen der europäischen Union zur Bekämpfung von Scheppern scheint überzufällig. Auch das Schweigen der Staaten Westeuropas zu den Masseninhaftierungen legt nahe, dass diese Inhaftierungen in ihrem Interesse erfolgen. Vieles deutet darauf hin, dass die Staaten Westeuropas dabei sind, in eine neue Form des Menschenhandels einzutreten, bei dem mit faktischer Duldung und stillschweigender Unterstützung Westeuropas Milizen, Islamisten und Kriminelle die Flüchtlinge von den Booten fernhalten und im Gegenzug mit ihnen machen können, was ihnen beliebt. Diese Politik, die allem Anschein nach bereits begonnen hat, ist eine Katastsrophe für die Flüchtlinge und sie ist nicht weniger brutal, als zuzuschauen, wie die Menschen im Mittelmeer ertrinken.
Der heutige Empfang des ägyptischen Gewaltherrschers Fattah al-Sisi in Berlin hat deutlich gemacht, wie ernst es der Bundesrepublik Deutschland, aber auch der westlichen Staatengemeinschaft im allgemeinen, mit den Menschenrechten ist. Dienten die Menschenrechte als Rechtfertigung für einen Bombenkrieg in Libyen und für die Finanzierung einer bewaffneten Rebellion in Syrien, will man mit Ägypten in der Bekämpfung des Terrorismus und der Fluchtbewegungnen zusammenarbeiten. Fattah al-Sisi hat aber in Rabha ein Massaker zu verantworten hat, welches Human Rights Watch als das Tianamen von Ägypten bezeichnet. In seinem Land lässt er routinemäßig foltern und Todesurteile wie am Fließband verhängen. Der Staatsbesuch in Berlin zeigt, dass Menschenrechte für die Bundesregierung und andere westliche Staaten nur rhetorische Bedeutung haben. Die butterweiche Kritik an Todesurteilen durch Merkel bei gleichzeitigem Schweigen zum Rabha-Massaker verändert diese Bewertung nicht. Im Namen der Menschenrechte gegen Diktatoren und für Diktatoren, gegen Folter und für Folter, gegen den Islamismus und für den Islamismus, dies ist die Politik, die die westlichen Staaten konsequent betreiben. Sie tun dies ohne jede Scham – dies hat der heutige Besuch des ägyptischen Gewaltherrschers in Berlin erneut deutlich gemacht.
Viele Grüße,
Euer Menschenrechte.eu-Team