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Kehrtwende des Westens in Syrien

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Es gab kein offizielles Rückwärts-Kommando. Dennoch ist unübersehbar, dass sich die Politik des Westens, allen voran der USA, im Syrien-Konflikt in den letzten Monaten und Wochen geändert hat. Es ist nicht übertrieben, von einer Kehrtwende zu sprechen. Diese Kehrtwende, so spät sie auch kommt, mag grundsätzlich sogar Aussichten für eine im Interesse des syrischen Volkes liegende friedliche Kompromisslösung schaffen. Allerdings dürfte es mittlerweile schwer sein, die bewaffneten Kräfte, zu deren Entstehung man beitrug, die sich zunehmend radikalisierten und mittlerweile in großen Teilen einen islamischen Staat fordern, hierfür zu gewinnen. Insofern besteht, trotz der Änderung der US Politik für Optimismus wenig Anlass. Im Gegenteil, ist ein sich hinziehender und kontinuierlich zu Vernichtung und Tod führender Konflikt zu befürchten.

 

Wie die Politik, so auch die Medien:

 

Waren zuvor die westlichen Medien, in Deutschland von der WELT über den SPIEGEL bis hin zur TAZ, voll von Berichten über die Grausamkeiten der syrischen Regierung und die Heldentagen der bewaffneten Opposition, lesen sich die Berichte nunmehr differenzierter. Plötzlich ist nicht alles mehr schwarz oder weiß, gut oder böse. Plötzlich werden nicht nur Untaten der syrischen Regierung, sondern auch der Opposition berichtet. Plötzlich wird der demokratische Charakter der Opposition in Frage gestellt. Plötzlich werden die Islamisten – unter ihnen nunmehr anerkannt viele al-Qaida Anhänger - nicht mehr als eine marginalisierte, sondern eine führende Kraft der bewaffneten syrischen Opposition dargestellt. Plötzlich hören wir nicht nur von Bombardierungen durch die Regierungstruppen, sondern auch von Hinrichtungen, Entführungen und Folterungen durch die syrische Opposition. Wir hören nicht nur von Kämpfen zwischen Regierung und Opposition, sondern auch von Kämpfen verfeindeter Rebellen-Gruppen.

 

Derweil ist es still geworden um diejenigen, die forcierte Waffenlieferungen an die syrische Opposition, ja sogar ein militärische Eingreifen des Westens an der Seite der syrischen Opposition zuvor noch lautstark forderten.

 

Was ist geschehen?

 

Neue Informationen haben sich im Grunde nicht ergeben. Wer es wissen wollte, konnte alles, was jetzt allgemein bekannt wird, bereits von vornherein wissen. So mussten wir auf Menschenrechte.eu bereits frühzeitig von einem Konflikt berichten, bei dem die Täter auf fünf Seiten zu finden waren; auf Seiten der syrischen Regierung, auf Seiten der bewaffneten Opposition, auf Seiten reaktionärer islamischer Monarchien und Bewegungen, auf Seiten der westlichen Staaten und auf Seiten einer vereinseitigen Medienmaschinerie, die durch Einseitigkeit und Propaganda die Eskalation des syrischen Konfliktes zu einer Menschenrechtskatastrophe mit Millionen von Opfern beförderte.

 

Anstatt als dritte Gewalt der Instrumentalisierung der Bevölkerung Syriens durch externe Eigeninteressen einen Riegel vorzuschieben, griffen die Medien im Westen eine unlautere Menschenrechtsrhetorik auf und halfen mit, eine Meinungslage in der Bevölkerung zu erzeugen, die es den beteiligten Regierungen erlaubte, den syrischen Konflikt durch Unterstützung einer brutalen bewaffneten Opposition zu eskalieren und allen erkennbaren Chancen für eine friedliche Kompromisslösung zu destruieren.

 

Das Drehbuch hierfür war schon in Libyen geschrieben worden, wo unter der Losung der Menschenrechte ein gescheiterter Staat, in dem Folter und Rechtlosigkeit regieren, geschaffen wurde.

 

Wie konnte es soweit kommen?

 

Mit dem arabischen Frühling verband sich im Westen die Hoffnung, diesen für eine Verbesserung des eigenen Image in der islamischen Welt nutzen und dadurch mittelbar einer Ausbreitung antiwestlicher islamistischer Ideologien in Anlehnung an Al Quaida entgegen wirken zu können. Gleichzeitig sollte so womöglich eine Ablenkung von dem israelisch-palästinensischem Kernkonflikt in Nahost erfolgen. Zunächst schien die westliche Positionierung, insbesondere auch der Obama Regierung, gegen Potentaten, die zuvor ihre Verbündeten waren, in der Tat zu einer Imageverbesserung des Westens und speziell der USA  in der arabischen Welt zu führen. Im arabischen Frühling vermochten sich die USA anfangs auf der Seite der Freiheit und als Gegner der Unterdrücker zu positionieren.

 

Auch in Libyen schien sich dies Drehbuch fortzusetzen als der Westen mit Entschiedenheit die Gewalt der Regierung, mit der man zuvor längst zu einer Annäherung gelangt war, verurteilte. Die gemeinsame Sache, die man zuvor mit der libyschen Regierung bei der Verfolgung, Folterung und Verschleppung von Islamisten machte,  vergessen machen wollend, steigerte sich die Verurteilung der libyschen Regierung rasch zu einem militärischen Engagement des Westens, bei dem allen voran die USA und Frankreich eine UN-Resolution und die Menschenrechte zum Deckmantel nahmen, um einen Offensivkrieg gegen die libysche Regierung zu führen. In der Hoffnung, die wahrgenommene Rolle als Unterdrücker in der arabischen Welt ein für allemal zu überwinden, wiederholten die beteiligten westlichen Staaten ihre einstmaligen Fehler in Afghanistan, wo maßgeblich durch die westliche Politik verursacht Generationen von islamistischen Gotteskriegern herangezüchtet wurden, die schließlich in Form von al-Qaida den einstigen „Freunden“ den Krieg erklärten. „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“, nur mit dieser Logik scheint es erklärbar, dass im Libyen Krieg ein Bündnis nicht mit Demokraten und Menschenrechtlern, sondern mit marodierenden Banden geschlossen wurde, die seither mehr oder weniger politisch, rein kriminell, antisozial oder islamistisch orientiert die Bevölkerung Libyens terrorisieren, sie mit ethnischer Säuberung, Verschleppungen, Verfolgung, Folter und bewaffneten Überfällen überziehen. Derweil hat sich das Blatt dort längst gegen den Westen gewendet und es sind zunehmend die antiwestlichen al-Qaida Kräfte, die an Boden gewinnen.

 

Anstatt die vielfach vorhergesagten katastrophalen Folgen der eigenen Politik für die betroffenen Menschen wie für das eigene Image zu erkennen und sie zu korrigieren, reagierte die Obama-Administration in Syrien nach libyschem Muster. Sie begnügte sich nicht mit einer Beendigung der vorherigen Kollaboration mit dem syrischen Regime und der Unterstützung der demokratischen Opposition, sondern trug maßgeblich zum Aufbau einer heterogenen bewaffneten Opposition bei. Diese bewaffnete syrische Opposition stand und steht aber der tatsächlich demokratischen syrischen Opposition im wesentlichen feindlich gegenüber, lehnte von Anfang an - durch den Westen bestärkt – jede Kompromisslösung ab und wollte stattdessen die bedingungslose Kapitulation des Assad-Regimes mit militärischen Mitteln erzwingen. Konsequenz ist ein verschärfter Konflikt mit mehr als einhunderttausend Toten, Millionen von Vertriebenen und eskalierendem religiösen Hass, wobei – noch stärker als in Libyen – al-Qaida nahe Kräfte am meisten von der Auseinandersetzung profitieren.

 

Offenbar hat dies die Obama-Administration nunmehr erkannt und unmittelbar vor einem gerade noch unausweichlich scheinenden auch direkten Eintritt in den Konflikt als Kriegspartei das Steuer herumgerissen. Sollte der ominöse Giftgaseinsatz ein Versuch der Rebellen gewesen sein, einen Kriegseintritt der USA zu erzwingen, so hat er sein Ziel verfehlt. Riefen die USA gestern noch nach einem militärischen Sturz des Assad-Regimes, favorisieren sie nunmehr eine Verhandlungslösung, die bereits vor der Kriegseskalation zum Greifen nahe war, die den Forderungen der demokratischen syrischen Opposition, insbesondere das "National Coordination Committee for Democratic Change, die aber von den USA wie auch der damals noch durch diese maßgeblich beeinflusste, wenn nicht gesteuerte bewaffnete Opposition strikt abgelehnt wurde.

 

Während schwere und schwerste Menschenrechtsverletzungen nicht nur der syrischen Regierung, sondern ebenso der bewaffneten syrischen Opposition  sich von Anfang an nicht vor der weltweiten Öffentlichkeit verbergen ließen, scheint es erst die enorme Erstarkung von al-Qaida nahen Kräften gewesen zu sein,  die die US Regierung zu einem stillschweigenden, aber radikalen Kurswechsel veranlasste. Nunmehr scheint auch die Obama Administration zu fürchten, die Geister nicht mehr loszuwerden, die sie einstmals reif. Derweil hat sie ihr kurzzeitiges Image als Befreier  in der arabischen Welt längst verloren, tritt – siehe Ägypten - zurück an die Seite der Potentaten und versucht nun offenbar die Stärkung der sich zuvor in der Defensive befindlichen Al Quaida als Kollateralschaden der eigenen Politik rückgängig zu machen. Der größte Kollateralschaden sind aber die ungezählten Toten und das unermessliche Leid, welches den Menschen in Syrien, aber auch in Libyen, Mali und im Libanon durch die Politik des Westens zugefügt wurde. Wie viel Wert das Leben dieser Menschen für die westlichen Staaten jenseits der Menschenrechtsrhetorik  in Wirklichkeit hat, dafür sind die im Meer auf dem Weg nach Lampedusa weiterhin ertrinkenden Flüchtlinge ein beredtes Zeugnis.

 

Zu Beginn der maßgelich durch den Westen verursachten militärischen Eskalation waren das Ghadafi-Regime wie auch das Assad-Regime geschwächt und auf dieser Basis bereit, zu einer Kompromisslösung zu gelangen. Sie hätten ein Machtteilungsagreement und eine Demokratisierung wohl geschluckt, wenn diese mit Garantien und der Rettung vor dem eigenen Untergang einhergegangen wären. Doch die westlichen Staaten und allen voran die USA setzten alles auf eine Karte, wollten Alles oder Nichts, und haben dadurch ebenso eine erreichbare Demokratisierung sabotiert wie sie das Leben unzähliger unschuldiger Menschen geopfert haben. 

 

Immer wieder wird die Forderung laut, Assad vor einem internationalen Gerichtshof juristisch zur Verantwortung zu ziehen. Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit lassen sich aber nicht mit einer einseitigen Perspektive erreichen. Wenn Gerechtigkeit herrschen soll, müssen alle diejenigen, die das syrische Volk in die anhaltende Menschenrechtskatastrophe getrieben haben, vor Gericht gestellt werden, unter ihnen fraglos Assad, aber ebenso die bewaffnete syrische Opposition, die Potentaten der Golf-Staaten und Barak Obama als oberster Repräsentant der Macht des Westens. Sie alle missbrauchten das syrische Volk für eigene Zwecke. Nunmehr scheint auch Barak Obama bewusst geworden zu sein, dass seine Politik, die das Massenelend der Menschen in Syrien offenbar billigend in Kauf nahm, gescheitert ist. Der Verbesserung des Ansehens der USA in der arabischen Welt war nur kurzzeitig und al-Qaida zieht die meiste Kraft aus dem syrischen Konflikt. Zu bedauern scheint die Obama-Administration allerdings nicht die Opfer ihrer Politik unter den syrischen Zivilisten, sondern lediglich ihr in der arabischen Welt erneut ramponiertes Image und die wachsende Stärke Al Quaida naher Kräfte.

 

Ein Ende der Menschenrechtskatastrophe in Syrien ist nach wie vor nicht absehbar. Einzige Lösung bleibt nach wie vor der Versuch, die verfeindeten Kräfte, die dafür erreichbar sind,  an einen Tisch zu bekommen und eine für alle Seiten vertretbare Kompromisslösung zu finden, die nur in einer Demokratisierung des Landes liegen kann.  Ob dies gelingen wird, hängt von der künftigen Politik der USA, aber auch von der bereits erreichten Stärke al-Qaida naher Kräfte ab. Die Geister, die man rief, wird man schwerlich wieder los. Den Preis hierfür zahlt weiterhin das syrische Volk. 

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